Selfpublishing im Wandel

Selfpublishing im Wandel

Wir schreiben das Jahr 1992. Die Welt steht uns offen, die DDR ist Geschichte. Ich hatte einen Roman geschrieben. Ich war jung und total überzeugt von mir und meinem Talent. Das Selfpublishing war noch nicht erfunden. Doch es gab einen Verlag, der mein Buch veröffentlichen wollte. Ich war aus dem Häuschen, habe mich dann aber doch dagegen entschieden. Eine gute Entscheidung, wie ich sehr schnell feststellte.


Beim Selfpublishing übernimmt der Autor das Lektorat, die Gestaltung und die Vermarktung selbst. Druck und Versand wird von einem Dienstleister übernommen. Er transformiert die fertige Buchdatei in eine Druckvorlage und speichert diese in seinem System. Der Druck erfolgt bei Bestellung des Buches. Die Vermarktung von E-Books ist ebenfalls möglich. Für Autoren ist es wichtig zu wissen, dass die Bücher in der Regel nicht in den Auslagen der Buchhandlungen zu finden sind. Dafür hält er vom Inhalt über die Gestaltung bis zum Verkauf alle Fäden selbst in der Hand.


Neues Land – neue Möglichkeiten

Anfang der 1990er-Jahre ist die Mauer ist weg. Die Soldaten der NVA sind vom Pariser Platz verschwunden. Wir laufen vom Brandenburger Tor zum Reichstag, dann zum Spreeufer, wo die Mauer zur East Side Gallery wurde. Einem der geschichtsträchtigen Orte, die von der Teilung erzählen. Künstler gestalten die Flächen immer wieder neu. Wir schlüpfen durch die Öffnungen, die zum Spreeufer führen. Leben die totale Freiheit. Hamburg, Ostfriesland, Holland, Fuerteventura.

In der DDR war das Schreiben von Büchern ein staatlicher Akt. Es gab einen Zirkel schreibender Arbeiter, in dem sich junge Schriftsteller organisieren konnten. Und in dem sie vermutlich inhaltlich geschult wurden. Vielleicht ist der Gedanke aber auch unfair, denn es gab wirklich schöne Bücher in der ehemaligen DDR. Viele von ihnen stehen heute noch in meinem Regal. Wie das Veröffentlichen funktionierte, kann ich nicht sagen: Die Verlage gehörten dem Staat. Doch mit der Öffnung der Grenzen sah ich meine Chance, mir meinen Büchertraum zu erfüllen. Es handelte sich um die Urfassung von Anna und Mike. Selfpublishing gab es damals noch nicht. Dafür aber zahlreiche Buchverlage.

Volltreffer – ein Verlag interessierte sich für mein Buch

Das Internet gab es 1995 für die Allgemeinheit noch nicht. Dafür jede Menge Zeitschriften mit Annoncen über Verlage, die Autoren suchten. Da musste ich mich bewerben! Ich bekam prompt eine Einladung in ein Berliner Luxushotel. Eine sehr gepflegte Dame um die Dreißig begrüßte mich. Ihr Vorname lautete Jasmin, den Nachnamen kannte die Branche in der damaligen Zeit, wie ich später feststellte. Sie schaute sich mein Buch für zwei lange Sekunden an und befand es für würdig, veröffentlich zu werden. Für 5.000 DM Vorschuss. Meinen möglichen Verdienst bezifferte sie auf 25.000 bis 30.000 DM. Voraussetzung: Ich müsse meine gedruckten Bücher selbst an den Mann bringen.

Wenn ein Besuch im Shoppingcenter die Augen öffnet

Ein paar Tage später bummelten wir durch ein Einkaufszentrum am Rande Berlins. Es hatte neu eröffnet. Ich sah eine junge Frau in der Mitte des Ganges stehen, vor sich einen Rollwagen mit Bücherstapeln, die sie zu verkaufen versuchte. Sie gab sich frech, laut und engagiert, doch das Interesse der Vorbeiziehenden war mäßig. Ich blieb kurz stehen und warf einen Blick auf das Werk. Schuppen rieselten von meinen Augen auf das Cover. Das Buch stammte vom Verlag der attraktiven Jasmin.

5.000 DM für einen Traum

Wir verbrachten den Nachmittag im Center. Draußen war es kalt und regnerisch. Die Kinder verlangten Eis und Matchbox. Mein Mann wollte in den Baumarkt, wir erledigten den Wocheneinkauf im zweistöckigen Supermarkt, der uns im sechsten Jahr nach der Wende immer noch erschlug. Bevor wir nach Hause fuhren, drückte ich mich noch einmal an dem Stand vorbei. Die Bücher vom Jasmin-Verlag stapelten sich unverändert in dem Rollwagen. Vermutlich hatte die junge Frau 5.000 DM für ihren Buchtraum bezahlt. Vielleicht war die Geschichte toll und lesenswert. Doch ich war voreingenommen. Andere Besucher gingen achtlos vorbei. Gibt es einen ungünstigeren Ort, um sein Buchbaby zu vermarkten?

Skepsis bewahrte mich vor einem Fehler

Skeptisch war ich, als ich das Hotel mit dem Vertrag in der Hand verließ. Meine Unterschrift fehlte, bei 5.000 DM brauchte ich Bedenkzeit. Das Schlüsselerlebnis im Einkaufszentrum verhinderte, dass ich Frau Jasmin das Geld bezahlte, um irgendwann einen Rollwagen mit meinen Büchern vor mir her zu schieben, die keiner kaufen wollte. Es verhinderte vor allem, dass ich viel Geld verlor. Trotz meiner Jugend hatte ich eine Portion Vernunft in mir. Später, als die Digitalisierung Google hervorbrachte, fand ich diese Jasmin unter der Sparte Abzocke ambitionierter Autoren. Heute ist sie nicht mehr auffindbar.

Druckkostenzuschussverlag – eine Goldgrube (leider nicht für den Autor)

Zuschussverlage gibt es auch heute noch. Ihr Ruf ist bald dreißig Jahre nach meinem Schlüsselerlebnis nicht besser geworden. Autoren, die ihren Traum vom eigenen Buch als Auslage auf den Tischen von Hugendubel, Thalia & Co erfüllen möchten, zahlen auch heute noch viel Geld für nichts.

Bei diesen Klauseln im Vertrag ist Vorsicht geboten:

  • Du sollst Geld als Vorschuss für den Druck deiner Bücher zahlen
  • Du sollst eine große Anzahl deiner Bücher selbst kaufen und vermarkten
  • Du bekommst keinerlei Gegenleistungen für dein Geld

Druckkostenzuschussverlage übernehmen kein Marketing, kein Lektorat, sie bieten dir kein Cover an und erbringen auch sonst keine Leistungen für das Geld, das sie verlangen. Sie wirtschaften in die eigene Tasche. Du kaufst deine eigenen Bücher zum Einkaufspreis, die Marge bleibt beim Verlag. Somit haben Druckkostenzuschussverlage die Bezeichnung „Verlag“ nicht verdient.

Selfpublishing vs. Druckkostenzuschuss

Wo liegt der Unterschied zwischen Selfpublishing und Druckkostenzuschuss?

  • Du musst deine eigenen Bücher nicht kaufen
  • Du zahlst einen geringen Betrag für die ISBN und die Bereitstellung der Druckdatei im System des Anbieters
  • Du hast die gesamte Vermarktung selbst in der Hand und zahlst nur für Dienstleistungen, die du aktiv beauftragst

Alternativ findest du Anbieter für kostenloses Selfpublishing. Du kannst E-Books oder gedruckte Bücher vermarkten. Allerdings liegen deine Werke in aller Regel nicht auf den Tischen der Buchhandlungen aus. Interessenten können sie bei allen Onlineshops bestellen. Wenn eine Bestellung eingeht, geht das Buch in den Druck. Deshalb gibt es eine Lieferzeit für die Bücher. Gelingt es dir, einige Exemplare zu verkaufen, kannst du das Glück haben, dass der Onlineshop deine Bücher ordert und einen Versand ab Lager anbietet. Ein wichtiger Punkt: Du bist nicht verpflichtet, eigene Exemplare deiner Bücher zu kaufen.

Die Preise sind konkurrenzfähig geworden

Ich beobachte die Entwicklung, seit ich begonnen habe, meine Romanreihe auszuarbeiten. Im Jahre 2011 waren die Bücher mit einem Preis von 40 EUR für einen Romanmit 500 Druckseiten nicht konkurrenzfähig. Außerdem mussten sich Autoren für mehrere Jahre an den Verlag binden. Heute gibt es Bücher aus der Eigenschmiede ab einem Preis von 9,95 EUR. E-Books sind noch günstiger. Es ist eine echte Alternative zu klassischen Verlagen geworden, bei denen unbekannte Autoren aufgrund der Marketingstrategien viel Glück und Geduld mitbringen müssen. Auch dann, wenn sie eine gute Story liefern.

Selfpublishing als Sprungbrett?

Selfpublishing kann ein Sprungbrett sein. Denken wir an Nele Neuhaus und andere Autoren, die ihre ersten Bücher in Selbstregie veröffentlicht haben und von einem Verlag entdeckt wurden. Dazu gehört Glück. Aber es ist doch super, dass wir dank der Digitalisierung solche Möglichkeiten haben und keine Jasmins mehr brauchen, oder?

Welcher klassische Verlag möchte neun Bücher eine unbekannten Autorin veröffentlichen?

Warum habe ich mich für das Selfpublishing entschieden? Ich habe nicht einen, sondern neun Romane als Debüt geschrieben. Ich kenne die Bemühungen von Autoren, einen klassischen Verlag zu finden. Es gab keine Antworten. Bestenfalls ein Standardschreiben. Es tut uns so leid … Für mich denke ich, dass ich als Autorin in der Lebensmitte mit einem neunbändigen Werk auf geringes Interesse stoßen würde. Ich möchte mich von keinem der Bände trennen. Ich möchte nichts kürzen. Und ich finde es spannend, den einsamen Weg zu gehen. Wohin er führen wird, wer weiß das schon? Ich lasse mich überraschen und ich bin für alles offen.

Selfpublishing: Die neuen Möglichkeiten nutzen

Allen, die auf dem Weg ihres Romans aus der Schublade in die Öffentlichkeit auf eine Jasmin treffen, möchte ich diesen Rat geben: Biegt woanders ab. Im besten Fall wollen wir Autoren mit unseren Büchern Geld verdienen. Wir können heute entscheiden, ob wir sie für einen kleinen Betrag als E-Book veröffentlichen, um sie dem Leser zugänglich zu machen. Wir können Passagen oder das ganze Werk zum kostenlosen Download anbieten. Für viele von uns bleibt das Schreiben ein Hobby. Doch wir sollten uns zu schade sein, für unsere Bücher Geld zu bezahlen. Ohne nur eine einzige Gegenleistung zu erhalten. Die Digitalisierung bietet so viele Möglichkeiten. Nutzen wir doch die seriösen Wege, um unser Baby der Welt vorzustellen.

Noch einmal zurück nach Berlin

Die ersten Tage in Berlin, damals, im November 1989, trage ich ebenso in mir wie die Zeit, in der wir ein paar Meter vor dem Pariser Platz standen und den Soldaten der NVA zuschauten. Niemand dufte den Platz betreten, heute ist er so belebt, dass es zu keiner Tageszeit möglich ist, ein Foto ohne Menschen aufzunehmen. Der Blick durch das Brandenburger Tor endete an der Mauer.

Die Erfahrungen, hinter dieser Mauer zu leben und den anderen Teil Berlins nicht besuchen zu dürfen, tragen auch meine Protagonisten in sich. In jedem Roman steckt ein Stück vom Autor, heißt es. Ich unterschreibe das sofort, denn eine meiner Figuren erlebt diesen Blick über den Pariser Platz, den ich gerade beschrieben habe. Wer es ist? Das möchte ich noch nicht verraten.

Er war noch nie in Berlin gewesen. Die Größe der Stadt erstaunte ihn. Vor dem Brandenburger Tor patrouillierten Soldaten der NVA, dahinter sahen sie die hohe weiße Mauer und die Spitze der Siegessäule. Die BRD-Fahne auf dem Reichstag, der nur wenige Schritte entfernt zu sein schien, wehte im Wind. »Es ist schon Wahnsinn, wie dicht wir hier an der Grenze sind. Zu Hause bekommt man das gar nicht so mit«, sagte er, während sein Blick zu der Fahne auf dem Reichstag wanderte. »Wie viele Meter werden es bis dahin sein? Einhundert? Zweihundert?

Die Schwiegereltern. Anna und Mike. Wendezeit
East Side Gallery in Berlin-Mitte

Entlang der Mühlenstraße in Berlin-Friedrichshain steht heute das längste, im Original erhaltene Mauerstück. Es wird von Künstlern immer wieder umgestaltet und ist eine der Gedenkstätten, die an die Teilung erinnern. Die abgebildete Mauerseite zeigt nach Osten, doch wir durften so nah nicht an den „Schutzwall“ heran. Umso schöner ist es, dass wir heute ohne diese Grenze leben dürfen, die sich quer durch unser Land zog. Und dass wir Autoren grenzenlose Möglichkeiten haben, unser Werk bekannt zu machen. Durch Seiten wie diese, aber auch durch das Selfpublishing.


Titelfoto © mysticsartdesign | pixabay