Kurzgeschichten – das kleine Genre
Sind Kurzgeschichten ein Genre, das kaum einer lesen möchte? Oder sind sie beliebter, als wir Autoren es denken? Viele von uns verpacken eine Idee zunächst in eine Kurzgeschichte. In dieser Schublade kann sie reifen. Wenn wir sie wieder herausholen, sehen wir klarer: Hat sie Potenzial oder legen wir sie wieder zurück? Dann gibt es Autoren, die sich auf das kleine Genre spezialisiert haben. Einmal wurde es sogar mit dem Nobelpreis belohnt. Schauen wir uns die Kurzgeschichte doch einmal genauer an!

Kurzgeschichten: Verkannt oder beliebt?
Kurzgeschichten führen häufig ein Nischendasein. Zu Unrecht! Sie lesen sich schnell, die Handlung kann spannend sein, unterhaltsam oder lustig. Oft haben die Geschichten eine hohe Aussagekraft. Manchmal werden sie von einem Autor zu einem Roman weiterentwickelt.
Es gibt Schriftsteller, die Bände mit Kurzgeschichten veröffentlichen und sich mit diesem Genre einen Namen gemacht haben. Mit Erfolg: Die kanadische Autorin Alice Munro galt als Meisterin der Kurzgeschichte und erhielt dafür im Jahre 2013 den Literaturnobelpreis. Andere waren vorher mit guten Werken auf dem Markt bekannt geworden. Dazu zählen Ernest Hemmingway, Franz Kafka oder Heinrich Böll. Gehen wir doch einmal in einen klassischen Buchhandel. Finden wir dort Kurzgeschichten, und wenn ja, liegen sie auf dem Auslagetisch oder eher versteckt in einem Regal?
Im Buchhandel nicht sehr präsent
Wenn du in einer großen Buchhandlung stöberst, fällt dir schnell auf, dass Kurzgeschichten kaum existieren. Das Genre steht weit hinter der Belletristik, den Sachbüchern, den Ratgebern oder der Reiseliteratur, die du in jedem Buchladen findest. Selbst in den großen Filialen der Buchhandelsketten und im Kulturkaufhaus Dussmann in Berlin kannst du nur in einer kleinen Auswahl an Kurgeschichten stöbern. Wenn überhaupt. Doch bedeutet das automatisch, dass das Genre nicht gelesen wird?
Nein, so ist es nicht. Das Problem der Verlage und Buchhandlungen liegt darin, dass sie Gewinn erwirtschaften müssen. Verlage nehmen in ihr Programm Titel auf, die sie sicher verkaufen können. In den Buchhandlungen liegen Autoren auf den Auslagetischen, die einen hohen Bekanntheitsgrad haben. Oder du findest Werke, die im Ausland sehr gern gelesen wurden.
Für die kurze Erzählung braucht es (meistens) einen guten Namen
Würden Autoren wie Ken Follett oder Sebastian Fitzek einen Band mit Kurzgeschichten veröffentlichen wollen, gäbe es dafür sofort einen Verlagsvertrag. Ein unbekannter Autor, der sich auf das Genre spezialisiert hat, ginge mit hoher Wahrscheinlichkeit leer aus. Es gibt, wie bei den großen Romanen, Ausnahmen. Doch diese sind noch ein bisschen seltener.
Alice Munro ist eine der wenigen Ausnahmen in jüngerer Zeit. Vielleicht bekam sie genau deshalb den Literaturnobelpreis: Sie gehört zu den Autoren, die ausschließlich Kurzgeschichten schreiben. Die meisten anderen Schriftsteller, von denen Kurzgeschichten veröffentlicht werden, hatten ihren bekannten Namen bereits vorher. Dies bestätigt auch Vito von Eichborn: Er setzt sich in einer Kolumne für das Literaturcafé mit der Frage einer Autorin zur Wirkung der Kurzgeschichte auf dem deutschen Buchmarkt auseinander.
Erst wenn Schriftsteller bekannt sind und zur Marke werden, haben auch ihre Kurzgeschichten einen Markt. Der Buchhandel weiß aus Erfahrung: Geschichten unbekannter Autoren gehen nicht.
Vito von Eichborn
Eichborn erwähnt in seinem Artikel die Schriftstellerin Judith Hermann: Bei ihr waren es die Kurzgeschichten, die einen großen Erfolg erzielten, während ihr erster Roman hinter den Erwartungen zurückblieb. Der zweite Roman Daheim erregte hingegen mehr Aufmerksamkeit und erhielt verschiedene Literaturpreise. Dennoch konnte die Autorin mit ihren Erzählungen die größeren Erfolge erzielen.
E.T.A. Hoffmann und Wolfgang Borchert
E.T.A Hoffmann ist dem Genre der Kurzgeschichte ebenfalls eng verbunden. Seine Werke Ritter Gluck und Der Sandmann lassen sich in verschiedene Genres einordnen. Die Kurzgeschichte fällt darunter. Draußen vor der Tür von Wolfgang Borchert habe ich im Studium behandelt. Das Werk dieses so jung verstorbenen Autors hat mich sehr bewegt. Er war ein großes Talent, für den ganz großen Namen war die Lebenszeit zu kurz. Aber er schrieb seine Erlebnisse aus dem Zweiten Weltkrieg so prägnant auf, dass sie bis heute gelesen werden.
Berühmte Autoren wie Hoffmann, Böll und Kafka, aber auch Munro und Hermann aus dem 21. Jahrhundert zeigen, das es eine Leserschaft für Kurzgeschichten gibt. Somit ist das Genre beliebt und verkannt gleichermaßen: Das Potenzial, das in den kleinen Geschichten steckt, ist vielen Lesern nicht bewusst. Die Kurzgeschichte ist leider viel zu wenig präsent.
Warum es die kleinen Geschichten schwer haben
Es gibt keine umfassenden Studien oder Umfragen unter den Lesern, die sich mit dem Genre der Kurzgeschichte beschäftigen. Auch das zeigt, wie wenig das Genre auf dem Büchermarkt Beachtung findet. Doch im Vergleich zum Roman gibt es wirklich einige Nachteile.
- Das Hinführen auf eine spannende Handlung ist schwierig
- Charaktere lassen sich nicht auserzählen
- Für eine Rahmenhandlung ist kein Platz
- Der Leser muss sofort in die Geschichte geführt werden
- Sprache und Stil müssen zu dem Format passen
Viele Leser lieben Romane genau aufgrund der Kriterien, die eine Kurzgeschichte nicht erfüllen kann. Sie möchten sich in eine spannende Handlung hineinlesen und zum spannenden Höhepunkt geführt werden. Romanleser lieben Charaktere, die sich mit anderen Protagonisten Konflikte liefern.
Ich habe eine Freundin, die mit Leidenschaft liest. Doch Romane, die weniger als 500 Seiten haben, nimmt sie gar nicht erst in die Hand. Sie liebt die Wälzer, die langen Schinken, in denen sie sich so richtig vergraben kann.
Im Roman kann der Autor mit Sprache und Stil spielen. Er kann die Handlung entwickeln und den Leser hinhalten. Es muss nicht sofort auf der ersten Seite krachen und scheppern, er erzeugt die Spannung langsam. Für diese Kreativität ist in der Kurzgeschichte keinen Platz.
Es gibt auch Vorteile
Natürlich haben Kurzgeschichten Vorteile. Sonst gäbe es sie vermutlich gar nicht. Sie lassen sich schnell, zwischendurch und ohne einen großen Zeitaufwand lesen. Sie erzählen kleine, aber oft sehr tiefe Handlungen. Sie sind in der Lage, den Leser zum Nachdenken anzuregen. Manchmal bleibt der Ausgang offen. Ein Happy End gibt es selten. Der Konflikt kann nicht bis in die Tiefe auserwählt werden. Doch gerade dieser Aspekt kann spannend sein.
Kurzgeschichten bieten sich außerdem als Vorlage für einen Roman an. Wenn der Autor beim Schreiben merkt, dass die Handlung viel Potenzial hat, kann sie sich mit dem Verfassen der kleinen Geschichte entwickeln. Dies gilt insbesondere für Autoren, die sogenannte Kopfschreiber sind. Ich gehöre dazu.
Kurzgeschichten: Einzelnes Genre oder Vorlage für einen Roman
Ich bin der lange Geschichtenerzähler. Kurzgeschichten schreibe ich als Inspiration. Wenn ich eine Idee habe, die mich beschäftigt, schreibe ich sie in meinen Kalender oder in ein Notizbuch. Lässt sie mich nicht mehr los, werden die Notizen länger. Oder es entsteht eine Kurzgeschichte.
Meine Romanreihe ist aus einer Kurzgeschichte hervorgegangen, die ich Ende der 1980er-Jahre noch auf der Schreibmaschine verfasst habe. In meiner Bücherschublade verstecken sich noch mehr dieser kleinen Geschichten. Eine kannst du hier kostenlos downloaden.
»Ein perfekt geschnittener Rollrasen. Der Rasenroboter hat seine Arbeit erledigt. Er ist zur Erholung in sein Häuschen gefahren. Es gibt einen kleinen Pool. Eine große Terrasse mit hochwertigen Gartenmöbeln. Ein Gartenhäuschen. Und das Haupthaus. Modern. Im Stil der Zeit. Stadtvilla nennt es sich im Verkaufsprospekt. Zwei Etagen. Flaches Dach. Hübsch anzusehen. Vorbeigehende erfreuen sich an dem gepflegten Grundstück. Einige bleiben stehen. Sie ahnen nicht, dass in dieser Idylle der Teufel wohnt. Ein Teufel namens Neff.«
Der kleine Neff. Kurzgeschichte von Jette G. Schroeder
Der kleine Neff
Hinter dem kleinen Neff steht derzeit keine Romanidee. Ich habe die Geschichte aufgeschrieben, weil mich die Diskussion über Arbeitsbedingungen in der Industrie aufgeregt haben. Eigene Erfahrungen stecken auch drin. Viel zu oft lassen unzufriedene Menschen ihren privaten Frust an Dritten aus. Im Straßenverkehr. An der Supermarktkasse. An den Kollegen. Wenn du magst, kannst du die Geschichte „Der kleine Neff“ in der Bücherschublade lesen.
Alltagsgeschichten
Ich ziehe die Ideen für meine Geschichten aus dem Alltag: Es können Begegnungen mit Menschen sein, Erlebnisse aus der Vergangenheit oder Wünsche für die Zukunft. Wenn mich etwas, das ich höre oder lese, sehr stark beschäftigt, schreibe ich es auf. Alles, was derzeit in meiner Bücherschublade zu finden ist, spielt in der Gegenwart. Oder in der nahen Zukunft. In unserer Zeit. Mich inspirieren Dinge, die ich sehe oder erlebe.
Der Bericht der Mitarbeiter des Industriebetriebes war in verschiedenen Medien veröffentlicht worden. Danach entstand die Kurzgeschichte über einen Vorgesetzten, der seinen Frust über das unerfüllte Privatleben an seinen Mitarbeitern auslässt. Eine direkte Vorlage für einen Roman stellt diese Geschichte nicht. Doch in meiner Schublade gibt es ein unvollendetes Werk, in dem sich der Protagonist, ein Mann im mittleren Alter, sein Leben ganz neu ordnet.
Kleine Geschichten im Selfpublishing
Wenn Verlage die Kurzgeschichte ablehnen, weil sie dieses Genre nicht verlegen oder weil der Autor keinen Namen hat, können sie im Selfpublishing erscheinen. Wenn du gezielt in den Veröffentlichungen der Selbstverlage stöberst, findest du eine Auswahl an Kurzgeschichten, die häufig packend und aussagekräftig sind. Sie finden ihre kleine, aber feine Leserschaft, gerade weil sie auf wenigen Seiten eine interessante Handlung bieten oder zum Nachdenken anregen. Deswegen lautet mein Tipp: Wenn du Kurzgeschichten schreibst, bleib dran. Die Digitalisierung bietet dir verschiedene Möglichkeiten, dein Werk auch ohne einen Verlag zu veröffentlichen.
Kurzgeschichten – ein abwechslungsreiches Genre
Die Kurzgeschichte ist ein Genre, das in der Vergangenheit zahlreiche namhafte und weniger bekannte Autoren bedient haben. Es fand und findet Leser, die es lieben, für eine begrenzte Zeit in eine Handlung einzutauchen, die kurz und kompakt erzählt ist. Wenn du gern liest, dann öffne dich doch einfach einmal für die eine oder andere Geschichte. Als Autor dieser Geschichten kannst den Weg über die Selbstveröffentlichung gehen, um deine Kurzgeschichten dem Leser zur Verfügung zu stellen.

© Jette G. Schroeder