Mit 17 Mutter – damals, in der DDR
Mit 17 Mutter zu werden, ist eine Entscheidung, die das ganze Leben prägt und verändert. Ich bin diesen Weg gemeinsam mit meinem Mann gegangen. Diesen Teil meiner Biografie findest du in meiner Romanreihe wieder: Meine Protagonistin Anna ist 19 Jahre alt, als sie ihren ersten Sohn bekommt. Meine Romanfigur und ich haben miteinander gemein, dass wir unsere frühen Babys in der DDR zur Welt brachten. Einen Papa für unsere Kinder gab es auch, wir lebten mit ihm zusammen. Wie verändert sich das Leben und was war in der DDR anders? Wie fühlt es sich an, mit Mitte 30 ein erwachsenes Kind zu haben? Was bedeutet es für junge Frauen, früh Mutter zu werden? Es ist eine Herausforderung, aber eine wunderschöne. Hier ist meine Geschichte.

Ich war 17, als mein Sohn zur Welt kam
An den Tag, an dem ich erfuhr, dass ich schwanger bin, kann ich mich bis heute erinnern, als wäre es gestern gewesen. Ich befand mich in der Ausbildung zur Krankenschwester und arbeitete im Bezirkskrankenhaus in Potsdam. Bei uns gab es keine frei Arztwahl, ich musste zu der Gynäkologin gehen, die in meinem Heimatort praktizierte. Leiden konnten wir uns beide nicht. Dass ich die Abneigung gegen Frau Doktor W. mit meinen Schulfreundinnen teilte, beruhigte mich etwas, denn offenbar lag es nicht nur an mir allein.
Als Schwesternschülerin hatten wir den kleinen Vorteil, dass wir uns während der Arbeitszeit direkt auf der Station untersuchen lassen konnten. Davon machte ich Gebrauch. Meine Regel war seit Wochen überfällig. Irgendwo tief im Inneren verkramt, dachte ich wohl an eine Schwangerschaft. Schließlich wussten mein Freund und ich, wie Verhütung geht, und hatten es damit trotzdem nicht so ernst genommen. Die Gewissheit bekam ich von einem jungen Assistenzarzt.
Fünf Monate waren wir zusammen
Ich lag da auf diesem Stuhl und war überrascht. Gerade hatte ich meinen 17. Geburtstag gefeiert. Mein Freund und ich hatten uns nach fünf Monaten Beziehung verlobt. Nun bekamen wir ein Baby.
Ich würde Ihnen raten, das Baby zu bekommen. Das Leben geht weiter. Bedenken Sie die Risiken, die eine Abtreibung mit sich bringt. Wenn Sie danach keine Kinder mehr bekommen können, werden Sie es ein Leben lang bereuen.
Diese Worte sagte Doktor Z. zu mir, weil Abtreibungen bis zur zwölften Schwangerschaftswoche in der DDR legal und straffrei möglich waren. Die Frau entschied allein, sie musste weder Beratungsangebote wahrnehmen noch sich vor irgendjemandem rechtfertigen.
Abtreibung? – Meine Mutter hätte es nicht erlaubt
Für mich kam eine Abtreibung keine Sekunde lang in Frage. Die Worte des jungen Arztes hatten sich sofort in meine Seele eingebrannt. Meine Mutter wiederholte sie in ähnlicher Form: Als Minderjährige hätte ich eine Zustimmung für den operativen Eingriff gebraucht. Diesen verwehrte sie mir.
Ich möchte nicht dafür verantwortlich sein, dass du später einmal keine Kinder bekommen kannst.
Nun wurde ich Mutter. Mit 17 Jahren. Es war nicht schwer, es meinen Eltern zu sagen. Meine Mutter schimpfte ein bisschen, dann sagte sie plötzlich, ich könnte das Kinderbett von meinem damals elfjährigen Bruder haben. Es stand noch auf dem Dachboden. Mein Vater sagte nicht viel.
Meine Mutter rief meinen Freund an, er lebte 200 Kilometer von mir entfernt in Mecklenburg. Er war völlig überrumpelt und sagte in einem ersten Reflex, dass ich doch abtreiben könne. Woraufhin ihn meine Mutter belehrte, dass dies nicht infrage käme. Schnell fand er sich damit ab. Er entschuldigte sich bei mir. Mit 19 Jahren würde er Vater werden.
Muttersein in der DDR – es war ein Privileg
Mütter waren in der DDR privilegiert. Ja, wir sollten Kinder zur Welt bringen, den den sozialistischen Staat einst voranbringen und ab der Krippe eine entsprechende Erziehung genießen würden. Dieses Thema wurde und wird so viel diskutiert, es soll in diesem Artikel nicht Thema sein. Ich möchte ganz unpolitisch erzählen, warum die frühe Mutterschaft sehr viel leichter war, als sie es heute ist.
Das staatliche System der Kinderbetreuung ruhte auf zwei wichtigen Säulen: Die Arbeitskraft der Mütter wurde gebraucht und der Staat erhoffte sich, in den Kinderkrippen, den Kindergärten und im Hort auf die Kleinsten einwirken zu können. Eine dritte Säule gab es auch noch: Die Löhne und Gehälter in der DDR waren niedrig, der zweite Verdienst der Frau wurde gebraucht. Die ganzheitliche Betreuung ermöglichte es den Frauen, arbeiten zu gehen.
Haushaltstag und angepasste Arbeitszeiten
Und es gab weitere Vorteile, die Frauen und insbesondere Mütter genießen konnten: Einmal im Monat gab es für jede verheiratete Frau, unabhängig vom Alter der Kinder, einen Haushaltstag. Es war ein zusätzlicher bezahlter Urlaubstag, der es den Müttern erlauben sollte, sich zu erholen. Sie bestimmten, an welchem Tag sie ihn nehmen wollten.
Auch in Bezug auf die Arbeitszeiten kam der Betrieb den Müttern entgegen: Nachdem ich meinen Sohn geboren hatte, setzte ich ein Jahr aus. In diesem Jahr heirateten wir. Weil mein Mann und ich in Schichten arbeiteten, gab ich die Ausbildung zur Krankenschwester auf und wechselte in den Handel. ich wurde Verkäuferin und durfte meine Arbeitszeiten so legen, dass ich in der Spätschicht meines Mannes früher Schluss hatte, um mein Kind aus der Krippe abzuholen.
Krankheiten des Kindes oder eigene Krankschreibenden wurden kommentarlos akzeptiert. Kinderkrippe, Kindergarten und Hort waren kostenlos. Nur eine kleine Pauschale für das Essen musste bezahlt werden. Ein Dreivierteljahr wohnten wir bei meinen Eltern, dann bekamen wir eine Drei-Zimmer-Wohnung zugewiesen. Die Miete betrug 52 Mark und 50 Pfennig im Monat.
Unterstützung und Ablehnung
Meine Eltern boten sofort Unterstützung an. Die Schwiegereltern bedachten mich vom ersten Tag an mit ihrer Ablehnung. Das war einer der Gründe, aus denen ich überhaupt schwanger wurde: Es war nicht so, dass wir keine Ahnung von Verhütung hatten. Es gab die Pille kostenlos, ich nahm sie auch. Aber nicht immer: Ich vertrug sie schlecht.
Dass das keine Einbildung war, erfuhr ich drei Jahre später: Nach der Wende ließ sich in meiner Heimatstadt ein zweiter Frauenarzt nieder. Ich wechselte sofort. Er war entsetzt, dass mir, einem jungen Mädchen, bereits vor der Geburt meines ersten Kindes eine Pille verschrieben worden war, die in der Regel Frauen einnehmen, die keinen Kinderwunsch mehr hatten. Mit der Minipille, die ich von ihm bekam, waren die Beschwerden verschwunden.
Leichtsinn und Protest gegen die Schwiegereltern
Ich würde sagen, dass meine Schwangerschaft möglich wurde, weil sich eine Form von Leichtsinn mit einer familiären Komponente vermischte: Ich habe die Pille ständig vergessen und in meinem gesamten Leben nur über eher kurze Zeitspannen eingenommen. Die Verhütungsmethoden, die für den Mann zur Verfügung standen, hatten uns nicht wirklich vom Hocker gerissen. Uns war glasklar bewusst, worauf wir uns mit ungeschütztem Verkehr einlassen.
Wir hatten sogar ein kleines bisschen gehofft, dass es passiert, denn unsere Verbindung stieß bei den Eltern meines Freundes auf heftigen Widerstand. Sie wollten uns auf Teufel komm raus auseinanderbringen. Mit der Geburt unseres Kindes zog mein Freund zu mir. Die Probleme mit seinen Eltern wurde durch den räumlichen Abstand von 200 Kilometern kleiner.
Die Dame vom Roten Kreuz
Meine Frauenärztin versäumte es nicht, meine frühe Schwangerschaft den Behörden zu melden. Wir bekamen während meiner Schwangerschaft Besuch von einer Dame, die beim Roten Kreuz beschäftigt war. Sie musste prüfen, ob ich der Mutterschaft gewachsen war. Meine Mutter war bei dem Gespräch anwesend.
Nach der Wende habe ich immer wieder gelesen, dass Babys ihren minderjährigen Müttern weggenommen und zur Zwangsadoption freigegeben wurden. Solche Fälle gab es wohl. Sendungen wie „Bitte melde dich“ auf Sat 1 machen daraus die Geschichte, dass dieses Vorgehen alle Mütter betraf. Das stimmt nicht! In meinem Leben sind mir zwei weitere Mädchen begegnet, die vor ihrem 18. Geburtstag Mutter wurden: In der Schule und auf der Station, nach der Entbindung. Beide haben, ebenso wie ich, ihre Kinder behalten.
Ich war ein rebellischer Teenager, den Besuch der Dame und ihre Fragen fand ich ziemlich nervig. Ich gab patzige Antworten und fing mir später eine deftige Standpauke meiner Mutter ein. Immerhin ließ uns die Dame in Ruhe: Der Besuch blieb einmalig.
Schwangerschaft und Geburt
Zugegeben: Die Schwangerschaft war schwierig. Das lag weniger an der Bereitschaft für das Baby, als an den Umständen. Ich hing sehr an meinem Freund, er lebte ziemlich weit weg. Die Entfernung mussten wir mit dem Zug überbrücken, wir sahen uns nur an den Wochenenden. Diese wenigen Tage wollten die Eltern meines Mannes mit sinnlosen Verboten unterbinden. Sie gingen soweit zu behaupten, dass gar nicht feststünde, dass mein Baby von meinem Mann wäre.
Zwei Monate vor dem Geburtstermin unterbrach ich meine Ausbildung für ein Jahr. Das war problemlos möglich: Von der Schule und dem Krankenhaus bekam ich sehr viel Unterstützung. Ich siedelte in den kleinen Ort in Mecklenburg über, in dem mein Freund wohnte. Mittlerweile stand fest, dass er zum Beginn des neuen Jahres zu mir ziehen würde. Doch der lag erst nach der Geburt unseres Babys. Wir lebten in einer kleinen Wohnung, die meiner Mutter gehörte. Die Eltern meines Mannes tobten, dass er – volljährig, mit abgeschlossener Berufsausbildung und werdender Vater – nachts nicht mehr nach Hause kam.
Dennoch kam ich an seiner Seite zur Ruhe, wir haben die Wochen bis heute in sehr schöner Erinnerung behalten. Nach Hause fuhr ich nur, um zur Schwangerenberatung zu gehen. Ich durfte die Gynäkologin am Ort nicht aufsuchen, weil ich dort nicht gemeldet war.
Gestose – eine Schwangerschaftsvergiftung
Ich nahm in der Schwangerschaft mehr als 20 Kilogramm zu und entwickelte eine Getose. Sehr junge und ältere Mütter sind von dieser Erkrankung häufig betroffen. Ich kam zwei Wochen vor dem errechneten Termin ins Krankenhaus und war untröstlich: Nun konnte ich meinen Freund nicht mehr sehen, denn in der DDR gab es nur zweimal in der Woche eine Besuchszeit: Mittwoch und Sonntag von 15 bis 16 Uhr. An dem Freitag, an dem ich eingeliefert wurde, fuhr mein Freund zu meinen Eltern, doch wir durften uns nicht sehen.
Eine Nacht verbrachte ich mit anderen jungen Frauen in einem Achtbettzimmer. Es war lustig, wir schauten Westfernsehen, aber ich war so traurig. In der zweiten Nacht rumorte es in meinem Bauch. Mein Baby wollte auf die Welt. Mein Freund war vor Ort, er durfte dabei sein. Nach fünfeinhalb Stunden Wehen war ich mit 17 Mutter eines gesunden Jungen.
Vaterschaftsanerkennung und Vormundschaft
Mein Freund erkannte die Vaterschaft an, meine Mutter wurde Vormund meines Sohnes, bis ich vier Monate später 18 Jahre alt wurde. Witzig fanden wir, dass meine Mutter die Vaterschaftsanerkennung durch ihre Unterschrift bestätigen musste. Sie war doch gar nicht dabei gewesen.
Die Schwiegereltern beorderten meinen Freund, der mit seinem Chef den in der DDR möglichen unbezahlten Urlaub vereinbart hatte, nach Hause. Noch einmal waren wir zweieinhalb Wochen getrennt. Dann begannen die Weihnachtstage, endlich zog mein Freund zu mir. Unser Baby hatte uns ein gemeinsames Leben geschenkt.
30 Jahre sollte sich die Problematik mit den Schwiegereltern hinziehen, bis wir erkannten, dass es keinen Zweck hat. Heute, weitere zehn Jahre später, haben wir keinen Kontakt mehr zu ihnen.
Freund, Papa, Ehemann
Mein damaliger Freund ist heute mein Ehemann. Wir sind tatsächlich zusammengeblieben. Wie wir das geschafft haben? Ich glaube, da war von Anfang an eine große Portion Liebe. Dann gab es die gemeinsame Verantwortung, später mussten wir von Eltern zum Paar werden. In dem Artikel über Langzeitbeziehungen erzähle ich mehr darüber. Krisen haben wir immer bewältigt. Mal war es einfacher, manchmal wirklich schwierig. Wir sind beide Familienmenschen, wir haben gemeinsame Interessen, und jedes Jahrzehnt schafft ein Stück mehr Bindung. Ein bisschen stolz sind wir schon, auf diese vielen gemeinsamen Jahre und vor allem auf unsere Kinder.
Mit 17 Mutter – in der DDR nicht ungewöhnlich
In der DDR war es nicht die Regel, dass junge Mädchen vor ihrem 18. Geburtstag ein Kind bekamen. Aber es war auch nicht so ungewöhnlich. Der gesellschaftliche Blick auf die jungen Mütter war ein anderer als heute. Gern werden junge Frauen auf die asoziale Schiene geschoben, was ich persönlich ganz schlimm finde. Sie haben mit Vorurteilen zu kämpfen: Darüber habe ich in meinem Magazin einen Artikel veröffentlicht, in dem sich einige Aspekte aus diesem Beitrag wiederholen, weil ich auch dort auf unsere persönliche Geschichte zurückblicke.
Ich muss sagen, dass wir mit 17 Jahren weiter waren, als die jungen Menschen heute. Unser Lebensweg hatte weniger Wahlfreiheit, wir haben die Schule abgeschlossen, zwei Jahre gelernt und mit 18 unser erstes eigenes Geld verdient. Wer den Weg des Studiums nahm, wurde mit 23 Jahren fertig. Jungen waren wegen dem Armeedienst in der Regel 26 Jahre alt. Viele bekamen nach der Ausbildung oder im Studium ihr erstes Kind.
Sie sind eine alte Erstgebärende
Meine Mutter bekam mich mit 27 Jahren: Sie war nach der Aussage ihres Gynäkologen eine „alte Erstgebärende“. Dieses Prädikat bekamen alle Mütter in der DDR, die über 25 Jahre alt waren. Heute schauen Ärzte erst ab 35 Jahren genauer hin.
Im Vergleich zu damals hat sich alles verändert: Wir lebten nicht nur in einer anderen Zeit, sondern auch in einem anderen Land. Wir waren eher selbstständig, bestrebt, uns von den Eltern zu lösen. Heute sind 17-jährige in den Augen der Gesellschaft häufig noch große Kinder. Wir waren junge Erwachsene, begierig darauf, unser Leben in eigene Hände zu nehmen. Ein Kind gehörte einfach dazu.
Ich möchte vier Kinder
Wenn wir uns in der Schule darüber unterhalten haben, wie wir uns unser Leben vorstellen, habe ich immer gesagt, dass ich vier Kinder möchte. Darüber nachgedacht habe ich nicht. Es war einfach so. Ich bin mit einem Bruder, Cousins, Cousinen und Großeltern aufgewachsen, habe dieses beschützende Netz der Familie geliebt und wollte es an meine Kinder weitergeben.
Vorurteile kinderreichen Familien gegenüber gab es in der DDR ebenso wenig, wie die frühe Mutterschaft unter Kritik stand. In meiner Schule wurde ein Mädchen mit 15 Jahren schwanger. Die junge Mama kam in die zehnte Klasse, als sie ihr Baby bekam. Sie setzte ein Jahr aus, dann ging das Kind in der Krippe und ihre Mama schloss die Schule, später auch die Lehre ab. Ohne Frage war das in der DDR einfacher, denn Mütter bekamen mehr Unterstützung. Auszeiten wegen einer Krankheit des Kindes oder Anpassungen der Arbeitszeit waren kein Problem.
Meine Botschaft an junge Mütter heute
Wenn ich heute 17 Jahre alt wäre, würde ich die Pille mit hoher Wahrscheinlichkeit regelmäßig nehmen. Ich würde auf ein Gymnasium gehen und hätte den Wunsch, Sprachen zu studieren und in einem anderen Land zu leben, um die Sprache – es wäre wohl Französisch – richtig gut zu beherrschen.
Kinder würde ich wieder wollen, aber nicht mit 17. Auch nicht mit 40 Jahren, wie es immer häufiger vorkommt. Idealerweise würde mein erstes Kind mit Mitte 20 zur Welt kommen. Nach Abschluss des Studiums, aber vor der Karriere. Die brauchte ich damals nicht, die würde ich heute auch nicht anstreben. Ich war und bin ein Familienmensch.
Jungen Mädchen, die schwanger werden, möchte ich sagen: Nimm dein Baby an, sei stolz auf deine frühe Mutterschaft und habe den Mut, die Aufgabe zu bewältigen. Für das Muttersein gibt es kein perfektes Alter. Dein Instinkt lehrt dich, das Richtige zu tun. Angst und Zweifel gehören dazu. Als ich meinen Sohn im Arm hielt, wusste ich gar nichts. Aber mit jedem Tag habe ich es gelernt. Es geht schneller, als du denkst!
Von der Gesellschaft würde ich mir die Akzeptanz wünschen, die wir in der DDR bekommen hatten. Ohne die sozialistische Erziehung, versteht sich, aber mit der Anerkennung und Rücksicht, die jede Mutter verdient. Oft wird vergessen, dass wir die Rentenzahler von morgen erziehen. Gerade weil der Generationenvertrag wackelt, sollte niemand über eine Mütterrente diskutieren. Aber nein, ich wollte in diesem Artikel nicht politisch werden.
Wie mein Sohn mein Leben geprägt hat
In meinem Leben war alles ein bisschen verdreht: Mit 24 Jahren saß ich in der Elternversammlung, weil mein Sohn in die Schule kam. Mit 31 hielt ich mein Abizeugnis in der Hand, mit 32 begann ich mein Studium, mit 35 hatte ich ein erwachsenes Kind. Mit 40 bin ich Oma geworden.
Was ich nicht hatte, war eine Jugend mit großem Freundeskreis, wilden Partys, One-Night-Stands und feucht-fröhlichen Reisen. Ich habe nie allein gewohnt und hatte nur eine echte Partnerschaft. Dass dies alles Nachteile sind, habe ich selbst nicht so empfunden. Es ist mein Leben, es gehört zu mir. Ich schwebe mit meinem Mann auf keiner rosaroten Wolke, es gab Höhen und Tiefen, in unserer gemeinsamen Zeit. Aber ich habe wirklich noch niemanden kennengelernt, bei dem das in einer langen Beziehung anders war.
Den geringen Altersabstand zu meinem Sohn habe ich immer als spannend empfunden. Für ihn ist es normal, ganz junge Eltern zu haben. Er hat sich nie Gedanken gemacht, das Kind einer 17-jährigen Mutter gewesen zu sein. Unseren Erziehungsauftrag haben wir trotz unserer Jugend erfüllen können: Er bringt alles mit, was zu einem sogenannten gutbürgerlichem Leben dazugehört.
Die Generationenverschiebung
Junge Großeltern gehen noch arbeiten und können sich nicht so intensiv kümmern wie Ältere, die bereits im Ruhestand sind. Es ist eine Art Generationenverschiebung: Das typische Großelterndasein erleben wir vermutlich erst bei den Urenkeln, wenn wir denn welche bekommen und sie aufwachsen sehen dürfen. Denn auch das ist heute kein Selbstverständnis mehr. Aber dafür können wir jetzt als Paar ein Freiheit leben, die wir in unserer Jugend nicht hatten. Klar ist heute alles anders. Aber es ist irgendwie auch schön, erwachsene Kinder zu haben.
Wie ging es weiter?
Vielleicht fragst du dich, wie es weiterging, mit unserem gemeinsamen Leben. Dass wir noch zusammen sind, habe ich ja schon verraten.
Jedes Jahrzehnt war anders
In unserem ersten gemeinsamen Jahrzehnt bekamen wir drei Kinder. Wir zogen zweimal um: Zunächst von meinem Elternhaus in unsere erste Wohnung. Dann kam die ziemlich aufregende Zeit der Wende, ein paar Jahre später zogen wir in ein eigenes Haus. In den 1990er-Jahren gab es für Familien Baukindergeld und zinsgünstige Kredite. Eigentum war nicht so unerschwinglich wie heute.
Die Jahre waren gepägt vom Familienleben. Aber wir hatten uns als Paar nie ganz verloren. Wir suchten uns immer kleine Nischen und verbrachten Zeit gemeinsam. Ein Wochenende Camping an der Ostsee, ein Discoabend, Kino oder eine kleine Auszeit mit Freunden. Es waren nur einige wenige Tage im Jahr: Meine Mutter lebte am Ort, sie war aufgrund unserer frühen Elternschaft selbst noch berufstätig. Aber ab und zu nahm sie gern eine kleine Enkelzeit, die wir zu unserer kleinen Auszeit umfunktionierten.
Ein Nesthäkchen und Campingurlaub
In unser zweites Jahrzehnt fällt eine Reise nach Mallorca anlässlich unserer Rosenhochzeit. Zwei Wochen ohne die Kinder, wir haben sie so vermisst, dass wir das nie wieder gemacht haben. Die Tage als Paar waren aber unvergesslich schön. Wir bekamen unser Nesthäkchen, nicht mehr geplant, aber vom ersten Moment an geliebt. Ich beendete mein Studium, wir fuhren jedes Jahr in den Campingurlaub. Erst mit dem Zelt, später mit dem Wohnwagen nach Holland, Frankreich, Dänemark und Schweden.
Wir waren total gern Eltern, es waren intensive Jahre, und wenn ich die Wahl hätte, würde ich dieses Jahrzehnt noch einmal wiederholen. Mein Mann musste zweimal den Job wechseln. Betriebsschließungen. Doch er fand etwas Neues. Mein Fokus lag auf den Kindern, aber die große Karriere hatte ich ohnehin nie angestrebt.
Am Ende dieses Jahrzehnts wurde unser ältestes Kind erwachsen. Aufgrund des großen Altersunterschiedes waren es nur vier Jahre, die wir wirklich vier Kinder hatten. Aber das war mir von Anfang an bewusst. Ich habe die Zeit genossen, auch wenn es manchmal sehr turbulent war: Wir haben nur Söhne. Aber ich weiß, dass diese Turbulenz in einem Haus voller Jungs eher die Regel als eine Ausnahme ist.
Wenn Kinder erwachsen werden
In unserem dritten gemeinsamen Jahrzehnt wurden zwei weitere Kinder erwachsen. Ich hatte viele Jahre gejobbt, mit Ende 30 begann ich zu arbeiten und konnte schnell auf Erfolge zurückblicken. Unsere drei älteren Kinder zogen in einem Zeitraum von drei Jahren aus. Wir wurden Großeltern, bei meinem ersten Enkelkind war ich 40 Jahre alt.
Ich würde dieses Jahrzehnt als schön und schwierig zugleich bezeichnen. Mein Prozess des Loslösens von dem Leben von einer großen Familie hin zum Alltag als Paar mit einem Kind war sehr ambivalent. Das Loslassen der älteren Kinder klappte gut. Ich war auf meine Arbeit fixiert und hatte schon immer viele Interessen. Ich konnte mich verstärkt dem Schreiben widmen und begann meine Romanreihe. Als Paar entwickelten wir kulturelle Interessen und unternahmen schöne Reisen innerhalb Europas. Wir fliegen nicht gern und sind bis heute mit dem Wohnwagen unterwegs.
Schwierig war das neue Leben als Paar. Obwohl wir in all den Jahren viel auf uns geachtet hatten, gab es Probleme: Die Neuverteilung von Aufgaben, Veränderungen im Haus: Viele Jahre hatten wir zu wenig Platz, jetzt war es plötzlich so viel, dass wir uns wunderbar aus dem Weg gehen konnten. Viel zu oft machte jeder sein eigenes Ding. Aber trotzdem schweißten uns die schönen Momente dann doch immer wieder zusammen. Wir haben ein Alltagsproblem, das wir bis heute pflegen, und freuen uns auf die Rente: Es wird eine sehr glückliche Zeit für uns werden, dessen sind wir sicher.
Krankheiten, Corona, neue Wege
Unser viertes Lebensjahrzehnt begann mit einer schönen und sorgenfreien Zeit. Unser Nesthäkchen war ein Teenager, die absolute Freiheit hatte uns zurück. Genau genommen hatten wir sie noch nie gelebt, denn als mein Mann zu mir zog, war das älteste Kind schon geboren. Wir verbrachten traumhafte Urlaube am Atlantik und an der Côte d’Azur, kauften uns eine Dauerkarte fürs Kino, gingen oft Essen, hatten schöne Tage mit Freunden und mit der Familie.
Dann kamen schwere Krankheiten, wir durchlebten die Coronazeit, mein berufliches Feld änderte sich durch die KI. Wir mussten neue Wege suchen, auch für uns, denn seit einigen Jahren ist auch das Nesthäkchen erwachsen. Die große Familie mit Schwieger- und Enkelkindern trägt uns, aber sie birgt mitunter auch Konflikte. Unter Alltagsproblem begleitet uns weiter. Aber alles ganz normal. Ich sage gern, wir halten durch. Denn die Verbindung, die ein Paar nach so vielen gemeinsamen Jahren hat, ist nicht mehr so einfach zu lösen.
Wir können manchmal nicht miteinander, aber auch nicht ohne einander leben. Wir leben, lieben und streiten – der Spruch stand einst an der Tür der uns gegenüberliegenden Wohnung. Beides beschreibt unsere Beziehung auf eine sonderbare Weise.
Blick in die Zukunft
Bald bricht unser fünftes gemeinsames Jahrzehnt an. Unsere jüngeren Kinder möchten irgendwann eine Familie gründen, wir werden sicher weitere Enkelkinder bekommen. Das Älteste wird bald erwachsen.
Am Ende dieses Jahrzehnts steht die Rente, eine Zeit, auf die wir uns sehr freuen. Wir haben viel vor, wollen noch weitere Ecken Europas erkunden, und hoffen, dass wir gesund bleiben. Dass wir zusammen alt werden, stellen wir nur selten infrage.
Unsere ersten gemeinsamen Jahre haben in unserer Erinnerung einen ganz besonderen Platz. Die wichtigste Erfahrung, die wir gern weitergeben möchten, ist diese:
Das Leben ist mit einem Kind, das vor dem eigenen 20. Geburtstag zur Welt kommt, nicht zu Ende. Es kann das Leben und die Partnerschaft bereichern und festigen. Studium, Haus und Reisen sind trotzdem möglich, auch in der heutigen Zeit. Wir sind mit dem Camper losgezogen, die Kinder haben es geliebt. Die Welt haben wir nicht gesehen. Das liegt aber eher an meiner Flugangst, als an meiner frühen Mutterschaft.
Die – öfter mal mutwillig – vergessene Pille und die Zeugung eines Babys als logische Folge sind kleine Momente, die alles verändern. Ich habe nie darüber nachgedacht, wie mein Leben ohne mein frühes Kind verlaufen wäre. Die frühe Mutterschaft gehört zu mir, und ich bin bis heute stolz auf das, was ich gemeinsam mit meinem Mann geleistet habe. Vielleicht ist es heute schwieriger, aber unmöglich ist es nicht.
Mut braucht es, und die Gewissheit, dass das alte freie Leben wiederkommt. Nach einer jungen Elternschaft ist die Zeit mit dem erwachsenen Kind besonders lang. Ich finde das toll. Vielleicht darf ich mit meinem Sohn eines Tages auf seinen 70. Geburtstag anstoßen. Wer schafft das schon?

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