Leidenschaft im Alter: Es gibt sie wirklich

Leidenschaft im Alter: Es gibt sie wirklich

Leidenschaft im Alter ist ein absolutes Tabut: Es wird so gut wie nie darüber gesprochen. Ab und zu veröffentlicht die Yellow-Press einen Artikel, der eher medizinisch angehaucht ist: Wie lange können Mann und Frau denn miteinander und wie verändert sich Liebe im Alter? In meiner Romanreihe erzähle ich das Leben meiner Protagonisten bis ins hohe Alter. Sie haben Beziehungen und sie lieben sich. Doch, ich muss zugeben: Das Schreiben der erotischen Szenen ist mir schwerer gefallen, je älter meine Figuren wurden. Wie ist das, mit der Leidenschaft im Alter: Gibt es sie wirklich? Die Antwort ist: ja. Und es gibt sogar die Überzeugung, dass sie immer besser wird.

Hört Leidenschaft im Alter auf?

Hast du deine Oma oder deinen Opa schon einmal gefragt, ob sie noch miteinander schlafen? In den meisten Fällen wirst du mit „nein“ antworten. Ich schließe mich an: Meine Großeltern wurden zwischen 1899 und 1913 geboren. Ich hatte Glück, sie alle kennenlernen zu dürfen. Das war in meiner Generation nicht selbstverständlich, denn viele Opas waren im Krieg gefallen.

Mein Mann hatte keinen Großvater, viele meiner Mitschüler auch nicht. Ich verlor meine Omas und Opas zwischen meinem 14. und dem 19. Lebensjahr, ohne dass ich jemals mit ihnen über Liebe oder Leidenschaft geredet hätte. So etwas tat man nicht. Zumindest nicht in der Welt, in der ich aufwuchs. Dabei war die DDR doch eigentlich recht freizügig. Immerhin liefen wir nackig am Ostseestrand herum.

Zugang zu erotischer Literatur hatten wir auch. Es gab sogar einen Doktor, der in unserer Jugendzeitschrift „Neues Leben“ Fragen beantwortete. Den Namen habe ich vergessen. Weißt du ihn noch? Dann reiche ich ihn gern nach. Er erklärte uns nicht nur unsere erste Liebe, sondern auch den ersten Sex. Doch wir waren jung: Über Leidenschaft im Alter erfuhren wir dort nicht viel.

Leidenschaft ist Veränderung

In meinem Elternhaus war Sex kein Thema, das wir so nebenbei beim Abendessen besprachen. Ist das der Grund, warum ich bei meinen – mittlerweile erwachsenen – Kindern so freizügig bin, dass sie gern mit den Augen rollen? Natürlich schneide ich keine persönlichen Bettgeschichten an, aber ich schreibe erotische Literatur und tausche mich gern darüber aus. Oder besser gesagt: Ich halte einen Monolog, der Nachwuchs hört zu!

Da ich mich altersmäßig mittlerweile auf einem Terrain bewege, das gern die Blüte des Lebens genannt wird, kann ich bestätigen, dass Leidenschaft nicht so einfach aufhört. Doch wie sieht es jenseits der 70 oder der 80 aus? Ich habe mich während des Romanschreibens viel damit beschäftigt. Daher weiß ich: Leidenschaft zwischen zwei Menschen, die sich lieben, hört nie auf. Aber sie verändert sich.

Liebe kennt kein Alter. Leidenschaft auch nicht

Wenn du 30 oder 40 Lenze hinter dir gelassen, merkst du es bereits: Alles ist anders als mit 20. Besonders fällt es in einer längeren Beziehung mit einem einzigen Partner auf: Nicht nur das Zusammenleben verändert sich, sondern auch der Sex. Natürlich macht jedes Paar eigene Erfahrungen. Es hat seine Vorlieben, Abneigungen, Spielarten und Wünsche. Doch die Qualität der Leidenschaft ist eine andere als in jungen Jahren. Und die Quantität auch. Nicht immer, aber doch immer öfter.

Wir haben Freunde, die etwas mehr als zehn Jahre jünger sind als wir. Die Freundschaft ist ein bisschen älter als zehn Jahre. Somit waren wir noch gar nicht in einem so blühenden Alter wie heute, als wir uns kennenlernten. Dennoch fanden die beiden es gruselig, dass hochbetagte Mittvierziger noch miteinander schlafen. Heute wird das langsam gesellschaftsfähig, denn viele Paare werden jenseits ihres 40. Geburtstags Eltern. Voraussetzung dafür ist Sex, der gern auch leidenschaftlich sein darf.

Mit älteren Menschen über Sex sprechen?

Unsere Freunde sind sicher nicht die Einzigen, die sich nicht gern vorstellen, dass ältere Paare miteinander schlafen. Schon gar nicht funktioniert das im Familienkreis: Da haben unsere Gedanken eine Schranke eingebaut. Zumindest bei mir. Trotz aller Freizügigkeit spreche ich weder mit meinen Kindern noch mit den Eltern über Einzelheiten meines Lebenslebens. Das Thema wälzen? Ja. Aber bitte doch allgemein. Und so ist es nicht verwunderlich, dass wir wenig über die Leidenschaft im Alter wissen.

Manchmal frage ich mich, ob sich das in meiner Generation ändern wird. Ich habe seit mehr als einem Vierteljahrhundert eine Freundin, mit der ich ziemlich viele Dinge bespreche. Leider ist auch sie jünger als ich, sodass sie keinen Beitrag zum Thema leisten kann. Doch ich könnte mir vorstellen, dass wir uns mit 80 und 90 – sie ist ebenfalls zehn Jahre jünger als ich – immer noch darüber austauschen. Vielleicht tun das Freunde, die heute in diesem Alter sind, auch?

Als ich die leidenschaftlichen Szenen meinen älteren Protagonisten auf den Leib schrieb, hatte ich kurzzeitig die Idee, einen Aufruf zu starten. So nach dem Motto: Wer ist bereit, mir anonym über sein Liebesleben Auskunft zu geben? Mindestalter 70 Jahre, nach oben gibt es keine Grenze. Doch ich fand es vermessen und vertraute meiner Fantasie. Ich schreibe ja kein Sachbuch, sondern einen Roman. Und der darf gern Episoden enthalten, die nicht nur fiktiv, sondern völlig aus der Luft gegriffen sind.

Seit mehr als drei Jahren sind die Szenen im Kasten. Bis heute habe ich mit älteren Menschen nur sehr sporadisch über die schönste Sache der Welt gesprochen. Ohne Details, und meistens auf einer sehr heiteren Basis. Aber ich habe viel gelesen. Eigenartigerweise spricht niemand darüber mit Menschen, die er gut kennt. Aber verborgen hinter einem Fantasienamen mit * gibt es so manchen, der sich für Sachbüchern ausfragen lässt. Was ich dort gelesen habe, ist eindeutig: Liebe und Leidenschaft kennen kein Alter.

Meister Lampe hoppelt zur körperlichen Nähe

In meiner Romanreihe gibt es die Figur Sven: Ein Mann, der die Frauen liebt und der das Liebesleben auskostet, indem immer wieder neue Erfahrungen sammeln möchte. In der Mitte seines Lebens lasse ich ihn den Satz sagen, dass er die Frauen in der Jugend wie Meister Lampe durchgehoppelt hätte.

Wir alle fangen irgendwann einmal an, die Liebe zu entdecken. Jeder von uns erlebt ein erstes Mal, das er in mehr oder weniger guter Erinnerung hat. Manchmal sind beide unerfahren, manchmal nur einer. In der Jugend ist die sexuelle Aktivität und die Leistungsfähigkeit statistisch betrachtet am höchsten. Sie nimmt in langen Beziehungen ab, aber auch mit zunehmendem Alter. Die Hasen hoppeln nicht mehr wild durch die Gegend, sondern sie lassen sich immer mehr Zeit.

Die Erfahrung nimmt mit jedem Jahr zu. Viele Paare erzählen, dass der Sex inniger wird, schöner und erfüllter. Es geht nicht mehr vier Mal in der Nacht zur Sache: Einmal reicht, aber dieses eine Mal wird intensiv ausgekostet.

Jeder geht einen anderen Weg

Natürlich kennen Liebe und Leidenschaft kein Rezept: Es wird junge Paare geben, die Meister Lampe nie kennenlernen, und Paare in den mittleren oder höheren Jahren, die wild durch die Laken hoppeln. Aber bei jedem von uns sorgt das Alter eines Tages für Veränderungen. Die Biologie ist dafür verantwortlich: Eigentlich dient Sex ja der Fortpflanzung, und die wird jenseits der 50 nicht mehr gebraucht. Eigentlich ist dies schon zehn Jahre früher der Fall, doch das traue ich mich gar nicht zu schreiben, weil es gerade modern ist, zwischen 40 und 50 Kinder zu bekommen.

Die Biologie macht den Sex zu einer schönen Sache. Ursprünglich Bestand der Sinn unseres Daseins darin, unsere Art zu halten. Das hat sich in unserer modernen Gesellschaft ein wenig verschoben. Selbstverwirklichung, Karriere, Konsum, Reisen und all diese Dinge stehen immer mehr im Vordergrund. Doch der Sex bleibt schön, denn wenn er das nicht wäre, hätten Mensch und Tier keine Lust darauf und die Art würde früher oder später aussterben.

Die schönen Gefühle bleiben, sie kennen kein Alter. Doch eines Tages verabschiedet sich Meister Lampe dann doch aus dem Schlafzimmer. Was bleibt, ist die körperliche Nähe. Und die kennt keine Altersgrenze. Welchen Grund sollte es auch geben, sich nicht mehr zu lieben, nur weil der 70. oder 80. Geburtstag verstrichen ist?

Meine Gedanken zur Leidenschaft im Alter

Ich finde es nicht leicht, die Gedanken, die Gefühle und das Erleben von Menschen zu beschreiben, die älter sind als ich. In den 14 Jahren, die ich mittlerweile an meiner Romanreihe arbeite – die Erstfassung aus den 1990er-Jahren zähle ich nicht dazu – sind meine Protagonisten mit mir mitgewachsen. Doch irgendwann kam der Moment, in dem ich in die Zukunft schreiben musste.

Nach der Beschäftigung mit dem Thema habe ich Szenen gemalt, in der körperliche Nähe und Vertrauen eine ganz große Rolle spielen. Es gibt Hemmungen, weil die Leidenschaft eine lange Zeit ruhte. Doch da das Paar keinen nennenswerten Altersunterschied hat, verändert sich der Körper bei beiden. Und dann, so stelle ich es mir vor, spielt unsere Vergänglichkeit gar keine Rolle. Denn wir alle, die wir uns von Botox und kosmetischen Operationen fernhalten, erleben sie. Der eine früher, der andere später.

Das Ding mit der erotischen Literatur

Grundsätzlich ist Erotik verdammt schwer zu schreiben. Die Vorgehensweise ist immer die Gleiche, doch wenn es verschiedene Szenen in einer langen Romanreihe gibt, möchte es doch bitte immer wieder neu umschrieben werden. Bei der Leidenschaft im Alter hatte ich den Anspruch an mich selbst, die Szenen ästhetisch darzustellen. Sie sollten glaubwürdig sein und in die Handlung passen. Auch Erotik sollte die Geschichte voranbringen. Ob und wie mir das gelungen ist, kann ich selbst nicht entscheiden.

Doch warum muss ich erotische Szenen im Alter überhaupt beschreiben? Bei Wer wird Millionär antwortete eine Autorin auf die Frage von Günther Jauch, ob sie die Szenen in ihren Liebesromanen ausschmücken würde, mit nein. Ihr wäre das peinlich, wenn es soweit ist, dann geht die Tür zu.

In meinen Romanen bleibt sie ein Stückchen offen. Diese – meine – Strategie begleitet meine Figuren auf dem Weg durch ihre Geschichte. Sollte ich nun einfach aufhören, nur, weil der 70. Geburtstag gefeiert wurde? Das hätte mir nicht gefallen. Es würde den Schilderungen von älteren Paaren widersprechen, die offen darüber reden, und auch den Studien, die ich gern noch erwähnen möchte, um zu bekräftigen, dass es Leidenschaft im Alter wirklich gibt.

Was sagen ältere Menschen über ihre Sexualität?

Es ist schon Jahre her, dass wir das letzte Mal Sex hatten“, erzählt Anna, 88 Jahre alt. „Ich war wohl um die 70. Es war irgendein Familienfest, wir tranken eine Menge Rotwein. Wir schliefen damals schon seit langem in getrennten Schlafzimmern und nachdem alle Gäste abgereist waren, hatten wir innigen Sex. Ich hatte zu der Zeit ja schon diese Knieprobleme, ich glaube, darum lag ich auf dem Rücken, nicht auf den Knien, Po in die Luft, so wie ich es früher gerne hatte. Hinterher sagte ich: ‚Jetzt hast du mit einer zahnlosen alten Frau geschlafen!‘ Und er antwortete: ‚Und du mit einem blasenkranken alten Mann.

Quelle: https://www.deutschlandfunkkultur.de/sexualitaet-im-alter-lust-ohne-ende-100.html

Die Aussage der 88 Jahre alten Anna stammt aus dem Buch „Lange Lieben“, das von Claudia Gehrke herausgegeben wurde. Sie führte Gespräche über das Liebesleben mit älteren Menschen und zeichnete sie auf. Leider ist es nur noch im Antiquariat oder für den Kindle erhältlich.

Die Worte zeigen, wie sich Liebe und Leidenschaft im Alter in der Realität ausdrücken können: Viele ältere Paare schlafen getrennt. Das sexuelle Verlangen nimmt ab. Dann gibt es einen Anlass, hier das Familienfest, oder eine Erinnerung, die Lust hervorruft. Es kann auch ein Lied sein oder ein Film. Dann flammt es plötzlich auf und es fühlt sich einfach nur gut an. Innig, wie es die Frau namens Anna umschreibt.

Altersbedingte Einschränkungen können den Sex erschweren

Anna erwähnt ihre altersbedingten Probleme: Das Knie macht ihr zu schaffen. Sie trägt ein Gebiss. Ihr Mann hat Probleme mit der Blase. Dennoch, so fühlt sich die Aussage an, hatten sie Spaß miteinander. In den Studien werden gesundheitliche Probleme häufig erwähnt. Sie können die Sexualität einschränken oder gänzlich unmöglich werden lassen. Dies ist einer der Gründe, warum im Alter immer weniger Paare angeben, überhaupt noch Sex zu haben.

Diejenigen, die Spaß daran haben und nicht von starken altersbedingten Einschränkungen betroffen sind, tun es mitunter häufiger, als in jungen Jahren. Die Prioritäten verändern sich hin zu dieser innigen Nähe, die Anna beschreibt. Der Akt selbst ist nicht so wichtig wie der Austausch von Zärtlichkeiten. Doch auch hier gilt: Sex ist ganz individuell. Es gibt kein Rezept, jeder mag etwas anderes. Das Bild von Sexualität im Alter ist nicht so vielseitig, weil nicht alle Menschen bereit sind, darüber zu sprechen. Doch die sich öffnen, bestätigen, dass Leidenschaft im Alter ganz viele Facetten haben kann.

Leidenschaft ist alterslos

Menschen, die sich lieben oder begehren, empfinden Leidenschaft füreinander. Sie ist nicht an ein Alter gebunden. Auch, wenn der Körper sich verändert: Es ist nicht unmöglich, im hohen Alter körperlich zu lieben. Das Tabu existiert bis heute in den Köpfen, und es ist eine Frage der Pietät, dass wir unsere Großeltern nicht fragen: He, wie war Eure letzte Nacht?

Doch diese Pietät sollte nicht dazu führen, dass wir der Liebe und der Leidenschaft eine Altersgrenze verpassen. Ob und wie oft Paare miteinander zärtlich sein möchten, entscheiden nur sie. Im offenen und neutralen Gespräch sollte Liebe im Alter kein Tabu sein. Sie gehört zu unserem Leben dazu. Es ist doch etwas ganz Wunderbares, wenn Menschen im hohen Alter Liebe füreinander empfinden. Wenn sie sich aneinander festhalten können und nicht, wie so viele, allein sind.

Wenn ich erwähne, dass sich die Erotik in meinen Romanen bis ins hohe Alter zieht, bekomme ich das eine oder andere „Sideeye“. So nennt die Enkelgeneration das, was wir als schiefen Blick bezeichnet haben. Doch ich finde es ganz wunderbar, dass Leidenschaft alterslos ist. Viel mehr Menschen sollten sie erleben dürfen. Und deshalb gehören sie in die Literatur. Weil Leidenschaft ein Teil unseres Lebens ist.

Wenn wir Glück haben und gesund bleiben, werden alle einmal alt. Und sicher wird keiner von uns an einem bestimmten Geburtstag zu seinem Partner sagen: Jetzt bin ich 70 oder 80, jetzt ist mal Schluss damit. Das erste Mal ergibt sich, das letzte Mal auch. Das Alter spielt in der Jugend eine größere Rolle als in den goldenen Jahren: Zu jung sollte das Paar dann noch nicht sein. Am Wichtigsten ist, dass beide sich wohlfühlen. Dann können sie genießen. Mit 18 anders als mit 80. Aber es bleibt, wenn beide sich verstehen, einfach nur die schönste Sache der Welt.


© Jette G. Schroeder


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