Kindheit und Jugend in der DDR: Ich habe sie erlebt
Über die Kindheit und Jugend in der DDR kannst du viele Beiträge im Netz lesen. Leider wird der Unsinn, den wir in unseren ersten achtzehn Lebensjahren anstellten, sehr häufig als Unsinn dargestellt. Ich bin in der DDR erwachsen geworden und möchte dir erzählen, wie es wirklich war. Es gab den Staat und die Stasi, aber viele von uns haben das im Alltag viel weniger dramatisch empfunden, als es heute erzählt wird. Zeitgenossen meiner Generation gibt es genug: Ich verstehe nicht, warum wir nie gefragt werden. Gänzlich ungefragt räume ich jetzt einmal mit den Vorurteilen über Kindheit und Jugend in meinem Heimatland auf.

Warum werden wir nicht gefragt?
Immer wieder ist der Osten ein Thema. Selten sind die Berichte positiv, oft sind sie falsch. Ich habe es schon im Intro geschrieben, und ich wiederhole mich gern: Warum werden wir nicht gefragt? Nach der Wende haben Historiker und Betroffene das Unrecht, das viele Menschen in der DDR erleben mussten, aufgearbeitet und öffentlich diskutiert. Das ist gut und richtig so. Doch es führte dazu, dass die DDR heute oft auf dieses Unrecht reduziert wird.
Filme und Fernsehserien tragen zu dem verfälschten Bild bei. Über die positiven Seiten der DDR wird viel zu wenig geredet. Ich habe in der DDR meine Kindheit und Jugend verbracht. Als die Mauer fiel, war ich verheiratet und eine ganz junge Mama. Ich habe viele Erinnerungen aus dieser Zeit mitgenommen. Positive und negative. Meine Kinder sind in der Bundesrepublik aufgewachsen, die DDR haben sie nicht bewusst erlebt. Mir gibt ihre Kindheit einen guten Vergleich. Ich kann mit Gewissheit sagen, dass einiges besser war. Vor allem das Miteinander in der Schule, in der Nachbarschaft und im Alltag.
Die ersten Jahre war ich bei meiner Omi
Es ist ein Klischee, dass wir alle mit sechs Wochen in die Kinderkrippe gehen mussten. Ja, es war in der DDR möglich, ein Baby nach Ablauf der Mutterschutzfrist in die Krippe zu geben. Das ist in einigen Kitas bis heute so. Meine Schwiegermutter war immer stolz darauf, sechs Wochen nach der Geburt wieder gearbeitet zu haben. Sie war allerdings Lehrerin in der Unterstufe – Klasse 1 bis 4 – und mittags zu Hause.
Mein Bruder und ich haben es anders erlebt: Meine Mutter hat uns gar nicht in eine Krippe gegeben. Sie fand es furchtbar, dass die Kleinen so früh von der Familie getrennt wurden. Vielleicht liegt es daran, dass mein Großvater Arzt war. Meine Großmutter war zu Hause und kümmerte sich gemeinsam mit einem Kindermädchen um den Nachwuchs. Der Krieg beendete dieses privilegierte Leben: Mein Großvater geriet in Gefangenschaft, meine Großmutter kümmerte sich allein um die Kinder. Meine Mutter und ihre Geschwister kannten keine Krippe, wir sollten sie auch nicht kennenlernen.
Als ich sieben Monate alt war, begann meine Mutter vormittags zu arbeiten. In dieser Zeit war ich bei meiner Oma. Nach der Geburt meines Bruders gab es das Babyjahr und die Möglichkeit, zwei weitere Jahre unbezahlt zu Hause zu bleiben, ohne den Job zu verlieren. Das nahm meine Mutter für sich in Anspruch. Bis wir Teenager waren – in der DDR wurden wir Jugendliche genannt – arbeitete meine Mutter in Teilzeit. Wir hatten einen großen Garten, ein großes Haus, mein Vater war als Meteorologe im Schichtdienst tätig. Mutti wollte Zeit für uns haben.
Ich kam im Alter von vier Jahren in den Kindergarten. Meine Omi erkrankte und konnte mich für mehrere Wochen nicht betreuen. Es war aber auch an der Zeit, dass ich mit anderen Kindern zusammenkam. Ich mochte den Kindergarten nicht und schloss dort keine wirklichen Freundschaften. Die Gruppe war zusammengewachsen, ich war neu und vermisste die Zeit bei meinen Großeltern.
Die Vorschule im letzten Kindergartenjahr
Im letzten Kindergartenjahr hatten wir an mehreren Vormittagen Vorschule. Wir saßen an einem Tisch und malten Striche und Linien in ein Heft. Lesen, Schreiben und Rechnen lernten wir nicht: Es ging um die Entwicklung der motorischen Fähigkeiten. Bevor wir eingeschult wurden, sollten wir schon einmal einen Stift ordnungsgemäß in der Hand gehalten haben.
Die Vorschule hat mir Spaß gemacht. Ebenso die Turnstunde. Zusätzlich ging ich einmal in der Woche zur Turn-AG: Sie wurde von einer Freundin meiner Mutter geleitet. Ich war gern draußen und habe mich ebenso gern bewegt. Wir sind eine Generation, die im Freien aufgewachsen ist. In unserem riesigen Obstgarten haben wir uns immer wieder neue Spiele und Dummheiten ausgedacht. Neben uns und gegenüber wohnten zwei Mädchen in meinem Alter: Mit einer von ihnen bin ich bis heute befreundet.
Einschulung und erste Schuljahre
In der DDR feierten wir eine Einschulung. Dies ist im Osten bis heute so. Am Sonnabend vor dem Beginn des neuen Schuljahres gab es eine Feierstunde in der Turnhalle. Wir bekamen unsere großen Zuckertüten, die unsere Eltern am Abend zuvor in die Schule gebracht hatten. Danach hatten wir unsere erste Schulstunde. Die Hefte und Bücher lagen auf dem Tisch, wir lernten unsere Lehrerin kennen. Die Eltern warteten in dieser Zeit auf dem Schulhof.
Die Schulzeit habe ich in einer sehr guten Erinnerung. Ich schloss schnell Freundschaften. Wir waren eine Hausklasse: Heute würde man so etwas als Pilotprojekt bezeichnen. Wir gingen nicht in den Hort, weil unsere Mütter Hausfrauen waren oder nur bis mittags arbeiteten. Die Väter meiner Mitschüler waren Handwerker, Fernfahrer, ein Vater war General, ein anderer Gärtner mit eigenem Betrieb. Ich kam in diese Klasse, weil meine Mutter nach der Geburt meines Bruders zu Hause war.
In unserem Klassenverband blieben wir im Kern zehn Jahre zusammen. Es gab Mitschüler, die zu uns kamen, weil ihre Eltern zugezogen waren oder weil sie eine Klasse wiederholen mussten. In der fünften Klasse wurde in unserer Stadt eine neue Schule eröffnet: Da bekamen wir mehrere neue Klassenkameraden, weil ihre Klassen in die neue Schule umzogen und der Schulweg zu weit gewesen wäre.
Der Alltag in der Unterstufe
In der DDR wurden die ersten vier Jahre als Unterstufe bezeichnet. Wir hatten eine Klassenlehrerin, die Mathe, Deutsch und Heimatkunde unterrichtete. Sport, Musik, Werken und Zeichnen hatten wir bei Fachlehrern. Von Montag bis Sonnabend hatten wir jeden Tag vier Stunden Unterricht. Pro Stunde lernten wir 45 Minuten. Es gab eine größere Frühstückspause nach der zweiten Stunde, in der wir uns auf den Schulhof austoben durften.
Das Frühstück brachten wir von zu Hause mit. Unsere Eltern konnten Milchgeld bezahlen, dann bekamen wir jeden Tag eine dreieckige Tüte mit Mixmilch. Schoko, Erdbeere oder Vanille. Die Kakaomilch war besonders beliebt.
Mittagessen gab es in der Essensküche. Ich ging nach Hause, meine Mutter kochte jeden Tag. Erst in der Oberstufe ging ich in der Schule essen. Wir hatten eine Schulküche, in der jeden Tag frisch gekocht wurde. Es gab ein einziges Gericht, das wir mögen mussten oder nicht. Beliebt war das DDR-Wurstgulasch, die ich heute als DDR-Nudeln für meine Enkelkinder koche. Die „tote Oma“ mochte ich nie, mein Mann auch nicht. Deshalb stand sie in unserer Küche nie auf dem Speiseplan.
Sport, Musik, Zeichnen, Werken, Nadelarbeit und Schulgarten
Neben den Grundfächern hatten wir künstlerischen und handwerklichen Unterricht, und das ab der ersten Klasse. Wir haben die Fächer geliebt: In Werken gingen wir in einen großen Raum, in dem die Tische in einem Viereck zusammenstanden. Wir durften gemeinsam arbeiten und laut sein. Im Werken haben wir mit Holz experimentiert oder mit Papier gearbeitet. Theoretischer Unterricht folgte erst später.
Zeichnen konnte ich nie, das Fach fiel mir schwer. Die Lehrerin war streng, wir mussten leise sein und stillsitzen. Das Gemansche mit der Tusche war nie meins, auch zu Hause nicht. Werken funktionierte besser, aber mein Lieblingsfach aus diesem Bereich war Musik. Mit sieben Jahren fing ich an, Klavierunterricht zu nehmen. Durch meine Mutter hatte ich früh Kontakt zur klassischen Musik, was mir im Unterricht zugute kam. Wir haben Opern gehört und sind zusammen ins Theater gegangen. Mit zehn Jahren sah ich die Zauberflöte das erste Mal, etwas später den Freischütz.
Nachmittags waren wir draußen
Unsere Schulzeit endete in der Unterstufe spätestens nach der fünften Stunde gegen 13 Uhr. Danach ging es nach Hause. Wir haben unsere Hausaufgaben erledigt, das war viermal in der Woche unsere Pflicht. Am Mittwoch bekamen wir wegen der Pioniernachmittage keine Aufgabent. Sonnabends hatten wir bis mittags Schule, über das Wochenende blieb das Hausaufgabenheft auch leer.
Wenn die Aufgaben fertig waren, ging es nach draußen. Im Garten fanden wir immer eine Beschäftigung: Gummihopse, Buden bauen unter den Obstbäumen, oder wir malten mit Kreide Vierecke auf den Asphalt und hüpften darin herum. Wie diese Spiele hießen, weiß ich leider nicht mehr.
Wir sind Fahrrad gefahren, haben unsere Rollschuhe untergeschnallt oder wir führten unsere Puppen spazieren. Murmelspiele kenne ich noch, und natürlich Brettspiele. Meine Freundin besaß ein Monopoly-Spiel, weil ihr Vater als Schlafwagenschaffner reisen durfte. Das war das Highlight, wenn wir dieses Spiel aus dem Schrank holen durften.
Wir wohnten direkt an der Havel, sind im Sommer baden gegangen und im Winter Schlittschuh gelaufen. In den kalten Wintern der 1970er-Jahre fror die Havel bis auf den Grund zu. Unsere Freizeit spielte sich auf dem Eis ab. Einen Rodelberg hatten wir auch, doch ich fuhr lieber mit meinen Gleitschuhen. Ab dem zehnten Lebensjahr hatte ich Schlittschuhe. Sie liegen heute noch in meinem Keller: Rote Eishockey-Schuhe waren es, weil es weiße Damen-Eiskunstlaufschuhe nicht gab.
Bis heute fällt es mir schwer, einen ganzen Tag drinnen zu verbringen. Ich muss raus, an die frische Luft. Das ist wohl meiner lebhaften Kindheit unter freiem Himmel geschuldet.
Die Oberstufe – Klasse 5 bis 10
In der fünften Klasse kamen wir in die Oberstufe. Die Schule wechselten wir nicht, wir verblieben auch in unserem Klassenverband, aber trotzdem änderte sich einiges: Wir bekamen neue Fächer und einen neuen Klassenlehrer.
Heimatkunde teilte sich auf in Biologie und Geografie. Wir lernten Russisch, der Deutschunterricht wurde in Rechtschreibung, Grammatik und Literatur einzeln benotet. Geschichte war ein Fach, das ich sehr mochte. In der Fünften beschäftigten wir uns mit den Urmenschen, später mit den Jägern und Sammlern. Politisch wurde der Unterricht erst nach der Französischen Revolution. Ich lernte die Geschichte später noch einmal vollkommen neu.
Ab der sechsten Klasse kam Physik dazu, in der Siebten dann Chemie und Staatsbürgerkunde. Technisches Zeichen und ESP, ab der neunten Klasse hatten wir Produktive Arbeit, in der Zehnten ein Jahr Astronomie. Insgesamt war der Unterricht mit Ausnahme von Geschichte und Politik besser als später, bei meinen Kindern.
Englisch wurde als zweite Fremdsprache ab der siebten Klasse angeboten, doch nur die guten Schüler durften das Fach auch belegen. Leider war der Unterricht, ebenso wie in Russisch, sehr schlecht: Unsere Kenntnisse beschränkten sich auf Vokabelarbeiten und das Lesen von einfachen Texten. Die Unterrichtssprache war Deutsch.
Das Ding mit dem Kassettenrekorder
Auch als Jugendliche verbrachten wir viel Zeit unter freiem Himmel. Zur Jugendweihe, die in der achten Klasse stattfand, kauften sich die meisten von uns einen Kassettenrecorder der Marke Stern. Das Gerät kostete mit 1.200 Mark mehr als ein monatliches Durchschnittsgehalt. Die großen Batterien waren ebenfalls teuer und sie hielten nicht lange durch. Dennoch hielt uns das nicht davon ab, unser Taschengeld dafür auszugeben, uns an der Regattastrecke unserer Stadt zu treffen und dort 1980er-Jahre-Mucke zu hören.
Eine schöne Annekdote aus diesen Jahren erlebte ich in der Schule: Wir hatten eine etwas verpeilte Chemielehrerin, die mit Brom experimentierte und dabei nicht richtig aufpasste. Das Zeug entwich, wir mussten raus, auf den Schulhof, die Feuerwehr kam und es herrschte helle Aufregung.
Wir standen auf unserem Lieblingsplatz, entlang eines Gitters, das den Schulhof der „Großen“, von dem der „Kleinen“ trennte. Dort sangen wir lautstark „Hurra Hurra, die Schule brennt“. Das war ein beliebter Song der Neuen Deutschen Welle, also vom Klassenfeind. Unser Direktor kam des Wegs, er war ohnehin in heller Aufregung. Wir brachten ihn mit unserem Gesang zur Weißglut, er wollte uns alle der Schule verweisen. Doch am nächsten Tag hatte er das schon wieder vergessen.
Rias 2 und Bandsalat
Wir konnten „Westradio“ empfangen und hörten am liebsten „die alte Army Rio De Lisle“. Er spielte die besten Hits der Zeit, und das waren viele, in den 1980ern. Wir saßen gebannt vor unseren Recordern und nahmen die Musik auf. Wenn jemand reinquatschte, ärgerten wir uns. Platten von den Stars konnten wir in der DDR nur unter dem Ladentisch kaufen. Aktuelle Singles gab es nicht. Uns blieb nur das Radio.
Die Kassetten hatten einen Nachteil: Es gab regelmäßig Bandsalat, den wir mit einem Bleistift wieder in Ordnung hatten. War das Band zerknittert, litt die Aufnahme darunter. Außerdem kostete eine Kassette 20 Mark: Das war mehr, als manch einer von uns Taschengeld bekam. So überspielten wir die Kassetten regelmäßig, worunter die Qualität noch mehr litt. Unsere Recorder kannten kein Stereo. Dennoch begleitete uns die Musik aus dem besten Jahrzehnt aller Zeiten durch unsere Jugend.
Schulabschluss und Ausbildung
Nach der zehnten Klasse trennten uns unsere Wege. Wir machten unseren Schulabschluss mit einer Note zwischen Eins und Vier. Abstufungen nach dem Komma gab es nicht. Die meisten von uns absolvierten danach eine zwei- oder dreijährige Ausbildung. Aus unserer Klasse ging niemand zur EOS, um das Abitur abzulegen.
Mit 18 wurden wir volljährig und begannen zur arbeiten. Ich bekam mein erstes Kind und war damit nicht allein: Ganz junge Eltern waren in der DDR eher die Regel als die Ausnahme. Wer noch ein bisschen wartete, ging am Wochenende ins Kino oder zur Disco. Für uns war es ein besonderes Highlight, wenn wir nach Berlin fuhren. Dort streiften wir auf dem Alexanderplatz herum, in der Karl-Marx-Allee oder in der Straße Unter den Linden. Von dem geschlossenen Brandenburger Tor und den patrouillierenden Soldaten erzähle ich heute meinen Enkelkindern.
Mehr über unser Schulsystem und die politischen Organisationen erfährst du in dem Artikel Aufgewachsen in der DDR: Von der Krippe zum Abitur.
Wann machen wir ein Klassentreffen?
Unser Schulabschluss ist knapp 40 Jahre her. Eine Mitschülerin ist verstorben, ein Mitschüler lebt in Thailand. Ansonsten wohnen wir alle noch hier, in der Region. Die Kinder der Eltern, die in der DDR selbstständig waren, haben die Betriebe übernommen. Eine Mitschülerin besitzt eine Boutique, andere arbeiten in hiesigen Unternehmen. Wir laufen uns oft über den Weg und veranstalten regelmäßig Klassentreffen. Ich hatte sie lange mit meiner Schulfreundin organisiert, deshalb werde ich gern darauf angesprochen.
Wirklich enge Freundschaften, die ein Leben lang halten, habe ich aus meiner Schulzeit leider nicht mitgenommen. Aber wenn wir uns über den Weg laufen, freuen wir uns drüber. Es ist immer Zeit für einen Gedankenaustausch. Alle drei bis fünf Jahre veranstalten wir die Klassentreffen. Wir haben einen schönen Abend und nehmen viele Erinnerungen an die gemeinsame Schulzeit mit.
Ein Relikt aus alter Zeit
Meine älteren Kinder haben ihre Schulzeit etwa 20 Jahre hinter sich gelassen und noch nie ein Klassentreffen veranstaltet. Ist es ein Relikt aus alten Zeiten oder hatten wir einen größeren Zusammenhalt? Wir waren zehn Jahre in einer Klasse und haben auch außerhalb der Schule viel gemeinsam unternommen. Nicht weil wir es mussten, sondern weil wir es wollten.
Ich habe meine Kindheit und Jugend nicht als politisch motiviert empfunden. Sicher war sie es, aber für uns war das normal. Über die DDR haben wir uns trotzdem lustig gemacht. So wirkliche Früchte hat die sozialistische Erziehung bei uns nicht getragen. Aber sie hat das Gemeinschaftsgefühl gestärkt. Das ist etwas, das ich in der Schulzeit meiner Kinder vermisst hatte.
Als der Freund aufs Gymnasium kam
Die traurige Geschichte einer vierjährigen Freundschaft hat mein jüngster Sohn erlebt. Er hatte ab der ersten Klasse einen Freund, der in der Nähe wohnte. Beide trafen sich zum Spielen, sie saßen nebeneinander und sie luden sich zu den Geburtstagen ein.
Bei uns in Brandenburg können leistungsstarke Kinder ab der fünften Klasse auf das Gymnasium gehen. Der reguläre Wechsel auf die weiterführende Schule ist nach der siebten Klasse. Der Freund meines Sohnes wechselte die Schule vorzeitig, er war sehr leistungsstark.
Damit endete auch die Freundschaft: Als sich beide ein paar Tage nach dem Beginn des neuen Schuljahres zufällig begegneten, sagte der Freund, dass er jetzt auf dem Gymnasium wäre und mit Grundschülern nicht mehr spielen möchte.
Das positive Erbe der DDR
Ich glaube, das positive Erbe der DDR war unser Zusammenhalt. Nicht nur in der Schule, sondern auch in den Betrieben. Das Wort Mobbing war noch nicht geboren und wir haben uns auch hin und wieder geärgert. Am 70 Geburtstag meiner geliebten Omi habe ich mich mit meinem Cousin auf dem Kohlenhaufen unserer Schule gekloppt. Nachmittags saßen wir dann frisch gestriegelt am Kaffeetisch zusammen. So war das, in unseren Kindertagen. Geschlagen und vertragen.
Vielleicht war die Gemeinschaft enger, weil wir alle irgendwie gleich waren. Das wurde von oben so diktiert. Doch es führte zu einer Verbundenheit, die es heute nicht mehr gibt. Die Ellenbogen der westdeutschen Marktwirtschaft gab es ohnehin nicht. Ausgegrenzt und verfolgt wurde, wer sich gegen das Regime stellte. Wer aber krank wurde oder persönliche Probleme hatte, konnte sich auf die Unterstützung der Kollegen verlassen.
So hielten wir es auch in der Schule: Leistungsstarke Schüler gingen nicht frühzeitig auf eine andere Schule, sondern sie wurden als Lernpaten eingesetzt. Wir gingen alle gemeinsam bis zur zehnten Klasse. Keiner musste wiederholen, keiner hatte einen schlechteren Schulabschluss als „drei“. Und alle haben einen Ausbildungsplatz bekommen.
Es war nicht alles schlecht
So heißt ein Song von den „Prinzen“, einer Ost-Band, deren Mitglieder etwa in meinem Alter sind und die nach der Wende in Deutschland einen riesigen Erfolg hatten. Sie haben recht, mit ihrem Song, in dem es um Ostdeutschland geht. Ich habe an meine Kindheit und Jugend ausschließlich positive Erinnerungen.
Mit der Staatssicherheit hatten wir keine Berührung, und auch damit sind wir nicht allein. 200.000 Spitzel haben mit einfachsten analogen Methoden 16 Millionen Bürger überwacht. Da gab es Schwachstellen, vielleicht waren wir eine davon. Aber wir hatten auch nie Ambitionen, das Land zu verlassen. Es war nicht alles gut, das ist gar keine Frage. Doch ich wünsche mir, dass wir, die wie die DDR bewusst erlebt haben, laut sagen dürfen, was uns gefallen hat. In dieser Beziehung muss sich einiges ändern.
Was mich am meisten stört, ist die Meinung einiger Westdeutscher, die glauben, unser Leben besser zu kennen, als wir selbst. Sie assoziieren es vermutlich mit Filmen wie „Das Leben der anderen“ oder Serien wie „Weissensee“. Beides sind ohne Frage geniale Produktionen. Doch sie beschäftigen sich ausschließlich mit dem Unrechtsstaat.
Ein Film oder eine Serie über das kleine Leben wäre doch mal eine gute Alternative. Darin soll die DDR nicht verklärt werden, auch mir liegt das fern. Doch die positiven Seiten unseres Alltags könnten all jenen nahegebracht werden, die unser Leben nicht kennen. Weil sie in der BRD geboren wurden oder zu jung sind.
Irgendwann sind wir, die Zeitzeugen, nicht mehr da. Vielleicht bekommen wir in den nächsten Jahren und Jahrzehnten doch noch eine neutrale Stimme. Das Unrecht ist beschrieben, es ist und wird aufgearbeitet. Jetzt wäre doch mal der Alltag dran!

© Jette G. Schroeder