Erwachsene Kinder loslassen – die Sache mit dem Sex
Dieser Tage las ich einen Artikel in der Welt, der in mir ein ambivalentes Gefühl auslöste. Die Autorin, Mutter eines Sohnes, fühlte sich von dessen Sexualität peinlich berührt. So stand es in der Headline. Sowas gibt es? Ich klickte den Artikel an. Im ersten Absatz stand, dass Sohnemann 20 Jahre alt war. Darüber hinaus enthielt der Beitrag weitere Herrlichkeiten, die mich peinlich berührten. Wir müssen unsere erwachsenen Kinder doch loslassen! Und gibt es wirklich Eltern, die über den Sex ihrer Kinder nachdenken? Als Mama erwachsener Söhne und Autorin eines Familienromans möchte ich mich mit dem Thema einmal auseinandersetzen.

Hilfe, mein Kind hat Sex
„Mein Sohn hat Sex … und ich bin peinlich berührt“, titelte die „Welt“ am 22. Februar 2025. Die Autorin des Artikels heißt Andrea Müller. Heute, etwa eine Woche später, greife ich das Thema auf. Ich möchte den Artikel verlinken. Und siehe da: Die Autorin – oder die Redaktion – hat den Titel geändert. Nun lautet er: „Was geht uns der Sex unserer Kinder an?“
Der Meinung schließe ich mich als Mutter von vier erwachsenen Söhnen an. Nur frage ich mich, warum der Titel geändert wurde? Prüft die Redaktion derartige Veröffentlichungen nicht vorher? Oder waren die Kommentare zu peinlich? Eine Kostprobe:
Kleiner Tipp: Wenn es dich peinlich berührt, solltest du es vielleicht unterlassen, dabei zuzusehen.
Matthias Matze Mühle auf Facebook
Der Welt-Artikel ist mit dem alten und neuen Titel hinter einer Bezahlschranke verborgen. Doch vielleicht hast du ja ein Abonnement. Dann kannst du den Beitrag hier lesen.
Die Änderung betrifft nur die Überschrift, der Inhalt ist gleich geblieben. Ich gebe zu, dass ich das Ende dieses Artikels nicht erreicht habe. Ich finde ihn leider zu befremdlich. Den Untertitel habe ich noch aufgeschnappt, als ich in die Kommentare klicken wollte. Es würde sich um eine Glosse handeln. Okay! Doch die Zitate der Unterhaltungen, die im Artikel zu lesen sind, entspringen der Realität?
Erwachsene Kinder haben ein eigenes Leben
Der Sohn der Autorin ist erwachsen, vielleicht bin ich deswegen so irritiert. Der neue Titel trifft den Kern meiner Kritik: Der Sex unserer Kinder geht uns gar nichts an. Wir haben nicht einmal das Recht, peinlich berührt zu sein. Doch ich würde auch diesen Artikel ändern, denn mit 20 ist ein Sohn kein Kind, sondern ein junger Mann. Klar, unsere Kinder bleiben ein Leben lang unsere Kinder. Daran ändert das Alter gar nichts. Doch im Zusammenhang mit der körperlichen Liebe sprechen wir vielleicht doch lieber von einem jungen Mann. Von einer jungen Frau oder von jungen Menschen im Allgemeinen.
Nein, die Sexualität junger Erwachsener geht uns Ältere partout nichts an. Schon gar nicht das Treiben unserer Söhne und Töchter. Es sei denn, sie möchten sich öffnen, um Rat erbitten oder Erfahrungen teilen. Junge Frauen sind in der Regel offener als die Söhne. Doch es kommt auf das Verhältnis von Eltern und Kindern zueinander an.
Ich unterscheide mich von der Autorin in einem wichtigen Punkt: Ich habe meine Söhne losgelassen. Da waren sie noch keine Achtzehn. Offenbar habe ich das ganz gut gemacht, denn Unterhaltungen, wie sie im Artikel zitiert werden, gab es bei uns nicht. Meine Söhne und Schwiegertöchter sind froh, dass ich ihnen derartige Peinlichkeiten erspart habe. Nachdem ich den Artikel gelesen hatte, habe ich sie befragt, wie sie auf ein solches Verhalten meinerseits reagiert hätten.
Wenn Mütter peinlich werden
Nun möchte ich aber nicht länger in Rätseln sprechen und die Zitate, an denen sich mich gerade abarbeite, auch zitieren. Es sind drei an der Zahl. Und bei allen fragte ich mich, ob es sich wirklich um eine Glosse handelt oder ob die Gespräche in der Realität stattgefunden haben. Wenn dem so ist: Merken die Mamas, wie peinlich sie sind? Haben sie es ernst gemeint oder hinterher mit dem Sohn herzlich gelacht? Ich befürchte, sie haben es ernst gemeint. Ich bin anders und kann das nicht verstehen. Aber genau das ist interessant: So ist es möglich, eine Diskussion zu eröffnen.
Welche Fragen darf ich deiner Freundin stellen
Aber irgendwann haben Söhne nun mal Sex- Damit müssen Eltern leben. Im Idealfall mit einer festen Freundin, die man als Mutter dann auch kennenlernen möchte. Diesen Termin schiebe ich vor mir her wie einen Schneeball, der immer größer wird … „Mach ja kein großes Ding daraus, Mama, das Mädchen sei kein Staatsbesuch.“ Ehe die beiden bei mir aufschlagen, frage ich Caspar per WhatsApp, ob es bestimmte Themen gebe, die ich partout nicht ansprechen oder fragen dürfe.“
Andrea Müller in: „Was geht Mütter der Sex ihrer Kinder an?“. In Welt digital, zuletzt abgerufen am 4. März 2025
Sohnemann weist Mama darauf hin, dass die Freundin kein offizieller Staatsgast ist. Genauso sehe ich das aber auch. Ich habe mir bei keinem meiner vier Jungs Gedanken gemacht, was ich fragen darf und was nicht. Ich bin am allerliebsten ich selbst. Das muss ich auch sein, denn angenommen, das Mädel wird Teil der Familie: Soll ich mich dann dauerhaft so komisch aufführen oder lasse ich irgendwann die Katze aus dem Sack?
Ich erzähle mal kurz von der ersten Begegnung mit einer meiner Schwiegertöchter: Draußen regnete es, wir nutzten den Tag und räumten unseren Wohnzimmerschrank aus. Mengen von Gläsern wurden aussortiert, unbenutzte Deko stand überall herum, mein Mann und ich diskutierten über jedes einzelne Stück. Das Handy klingelte, unser Sohn rief an. „Mama, darf ich einen Besuch mitbringen? Wir wollten spazieren gehen, aber es regnet.“
Klar darf er das. Der „Besuch“ war seine neue Freundin, von der wir bis dato noch gar nichts wussten. Mein Mann und ich empfingen sie in unserem vollgekramten Wohnzimmer. Peinlich? Nö. Irgendwann müssen wir ja mal ausmisten. Unser Verhältnis zueinander? Super. Mittlerweile sind die beiden schon länger zusammen.
Wir hatten gar keine Gelegenheit, Schneebälle durch die Gegend zu schieben. Es regnete und wir machen uns um sowas keine Gedanken. Wir haben unser eigenes Leben. Wenn wir jemanden kennenlernen dürfen, sind wir so, wie wir sind. Wir stellen die Fragen, die wir stellen wollen. Natürlich unter Berücksichtigung von Pietät und Höflichkeit. Beides ist vermutlich nicht allen Mamas gegeben, wie wie am zweiten Beispiel sehen.
Das Kondom und die Banane
Journalistin Andrea Müller hat Freundinnen, die offenbar in einer ähnlichen Bubble schwimmen. So ist es auch bei mir: Meine Freundin und ich können über den gleichen Kram lachen und uns über dieselben Dinge aufregen. Das, was die Mama vom Stapel ließ, geht gar nicht. Finden wir beide
Vor kurzem erzählte mir eine Freundin, wie sie ihrem 16-jährigen Sohn in Anwesenheit seiner neuen Flamme anhand einer Banane veranschaulichte, wie man ein Kondom überzieht.
Andrea Müller in: „Was geht Mütter der Sex ihrer Kinder an?“. In Welt digital, zuletzt abgerufen am 4. März 2025
Ich frage mich immer noch, ob das ernst gemeint oder Bestandteil der Glosse ist. Gibt es wirklich Mütter, die so etwas tun? Und wenn ja, was denken die sich dabei?
In der Vorbereitung dieses Artikels habe ich meinen Sohn gefragt, wie er darauf reagiert hätte. Er meinte: „Mama, ich kann dir darauf keine Antwort geben, weil du sowas niemals machen würdest.“ Ich bohrte ein bisschen tiefer, dann sagte er: „Ich glaube, ich wäre in meinem Zimmer verschwunden und hätte tagelang nicht mit dir geredet.“
Ich glaube auch, dass er genauso reagiert hätte. Meine anderen Söhne sind etwas forscher: Sie hätten im besten Berliner Jargon ein „Mama, geht’s noch?“ herausgehauen. Und zu recht: Es geht gar nicht, ein junges Mädchen so zu Hause zu empfangen.
Geht gefälligst woanders hin
Eine … Freundin, auch Jungsmutter, erzählte mir unlängst, bei ihr zu Hause werde nicht gevögelt. Basta! Die könnten dafür ins Auto oder zu den „anderen Eltern gehen“, falls diese das erlauben.
Andrea Müller in: „Was geht Mütter der Sex ihrer Kinder an?“. In Welt digital, zuletzt abgerufen am 4. März 2025
Diese Aussage ist noch einmal eine Steigerung dessen, was davor im Artikel zu lesen war. Danach bin ich dann auch aus dem Artikel ausgestiegen. Was für ein Tonfall! Und was für eine Einstellung. Ich thematisiere das ja in meinem Roman und bin dort und in der Realität der Meinung, dass wir es nicht verhindern können und auch nicht sollten. Wenn es nicht im heimischen Kinderzimmer passiert, dann eben woanders. Auch die freie Natur bietet ausreichend Platz. Aber ist das für eine junge Liebe wirklich so schön?
Meine Protagonistin Anna hat einen Papa, der es am liebsten sehen würde, wenn seine Tochter für immer ein kleines Mädchen bleibt. Auch er möchte verhindern, dass sie mit ihrem Freund in einem Zimmer schläft. Die Mutter ist toleranter. Mein Mann und ich hatten diese Toleranz beide. In unserem Haus spielte dieses Thema nie eine Rolle. Wir haben meinen Kindern nichts verboten und nichts erlaubt. Es war einfach selbstverständlich, dass die Freundinnen unserer Söhne bei uns übernachtet haben.
Das, was die Freundin der Autorin vulgär als „Vögeln“ bezeichnet, haben wir im Detail nicht besprochen. Abgesehen davon würde ich so nicht von den sexuellen Aktivitäten meiner Söhne reden wollen. Es gibt schon Momente, in denen das breite Thema der Sexualität zur Sprache kommt. Prüde sind wir nun gar nicht. Aber zwischen Eltern und Kindern gibt es eine gewisse Distanz, die wir einhalten und die wir gut finden.
Was ein Pärchen ab einem gewissen Alter im Kinderzimmer anstellt, geht uns nichts an. Ich muss aber zugeben, dass jeder unserer Söhne bei der ersten Freundin ein Alter hatte, in dem es keiner Diskussion bedurfte.
Liebe Mamas, lasst Eure Söhne los
Zwei Dinge sollten Kinder von ihren Eltern bekommen. Wurzeln und Flügel
Johann Wolfgang von Goethe
Als vierfache Jungsmutter spreche ich zu allen Mamas, die selbst Söhne großziehen: Bitte, lasst sie los. Gebt ihnen die Möglichkeit, sich zu entfalten und ihren eigenen Weg zu finden. Lasst sie nicht zu einem Muttersöhnchen werden, das am besten mit 40 Jahren noch im Kinderzimmer wohnt. Im Artikel der Autorin fallen mir zwei Dinge auf: Sie lebt von dem Vater des Kindes getrennt. Das wird gleich im Intro deutlich. Dazu möchte ich ein letztes Zitat einbringen:
Vor ein paar Jahren hatte ich ein Date mit einem Mann, der hatte, genau wie ich damals, einen zwölfjährigen Sohn. „Der vögelt schon“, sagte mein Date. Und ich sagte: „Wie bitte?“, das hätte ja wohl noch etwas Zeit“ Es ging so weit, dass ich ihn nicht mehr fürs Dating in Betracht zog, weil ich dachte, bei denen zu Hause sind die Sitten ja wohl total verroht.
Andrea Müller in: „Was geht Mütter der Sex ihrer Kinder an?“. In Welt digital, zuletzt abgerufen am 4. März 2025
Was hat denn das mit verrohten Sitten zu tun, wenn sich Kinder früh für die Sexualität öffnen? Das habe ich nicht gefragt, weil ich das verharmlosen möchte, sondern weil wir Eltern darauf in aller Regel keinen Einfluss haben. Wir können reden, aufklären, und uns für die Beantwortung von Fragen anbieten. Aber verhindern können wir nicht, dass unser Nachwuchs in sehr jugendlichem Alter die Geheimnisse der Sexualität entdeckt.
Das Zitat hört es sich nicht nach einer strafbaren Handlung an. Wenn die Autorin ihre Dates danach aussucht, wann die Kinder des potenziellen Partners ihr erstes Mal erleben, ist das natürlich auch ein individuelles Beuteschema. Mein Mann und ich haben uns als Teenager gefunden, deshalb kann ich zum Dating gar nichts sagen. Aber vermutlich hätte ich wegen der frühen sexuellen Aktivitäten meines potenziellen Stiefsohnes nicht den Kontakt abgebrochen.
Kuscheln am Strand
Ein Foto gibt es in dem Artikel auch noch. Es zeigt die Autorin in einer liebevollen Geste mit ihrem Sohn am Strand. Da war er noch ein Kind. Untertitel: Als er noch klein und unschuldig war. Das sind alle Söhne einmal, aber die Zeit geht vorüber. Dessen sollten wir Mamas uns früh bewusst sein. In meinem Kreis gab es einmal eine alleinerziehende Mutter, die ihren Sohn, ein Einzelkind, als Partnerersatz sah. Das ist verständlich, aber es geht nicht. Unsere Jungs werden erwachsen und sie müssen ihren eigenen Weg gehen. Mütter haben nicht das Recht, zu klammern oder ihn daran zu hindern.
Bitte keine Rechtfertigungen
Erwachsene Söhne – und auch Töchter – sollten sich für ihr Erwachsen werden nicht rechtfertigen müssen. Ob sie Sex haben oder nicht und mit wem sie diesen praktizieren, ist allein ihre Sache. Es steht uns nicht zu, uns da einzumischen. Eine Freundin ist ab einem bestimmten Lebensalter etwas ganz Normales. Sie nimmt den Platz an seiner Seite ein, für eine gewisse Zeit oder für immer. Peinliche Fragen, Kommentare und Seitenhiebe sind fehl am Platz. Und die Banane erst recht.
Peinlich berührt von den Müttern
Von der Sexualität meiner Jungs war ich nie peinlich berührt, weil sich diese außerhalb meiner Wahrnehmung abspielt. Mit meiner Freundin rede ich offen darüber, und ich schreibe erotische Literatur, weil ich finde, dass die schönste Sache der Welt auch thematisiert werden darf. Aber bitte nicht mit unseren Kindern. Es gibt da so eine Schranke, zwischen Eltern und Kindern. Sie ist beidseitig geschlossen. Mit meiner Mutter bespreche ich meine Intimitäten ebenso wenig wie mit meinen Schwiegertöchtern. Nichtmal mit allen Freunden ist es Thema. Und das ist auch gut so.
Peinlich berührt war ich von den Müttern, die in diesem Artikel zitiert wurden. Es ist meine persönliche Wahrnehmung. Vielleicht bist du von der Offenheit, mit der ich es in unserem Haus gehalten habe, peinlich berührt. Das ist völlig okay, es wäre ja schlimm, wenn alle einer Meinung wären. Doch letztlich geht es doch um unsere Kinder. Ich glaube nicht, dass es junge Leute gibt, die es toll finden, im Beisein ihrer Freundin Sexualkundeunterricht von der Mutter zu bekommen. Die von der Mama einen Fragenkatalog geschickt bekommen oder in die Büsche gehen müssen um ihr erstes Mal zu erleben.
Lassen wir unsere Söhne erwachsen werden. Wir begleiten sie nur ein kleines Stück, in ihrem Leben. Sie werden uns nicht davonlaufen, sondern unser Leben weiter bereichern. Genießen wir die Zeit, die wir für uns haben, wenn die Kinder erwachsen sind, anstatt zu klammern und sie einzuengen. Dann ist die Chance groß, dass das liebevolle Verhältnis auch nach dem 18. Geburtstag bestehen bleibt.

© Jette G. Schroeder